[E.] Das JDC
in den Jahren 1938 / 1939
[6.14. Interne Strukturveränderungen im Joint
Distribution Committee 1938 / 1939]
[20. Sep 1937: Tod von
Felix M. Warburg - Nachfolger Paul Baerwald]
Die dramatischen Ereignisse in Europa verursachten einen
internen Aufruhr im Aufbau des JDC. Die Reorganisation war
bereits in den letzten Monaten des Lebens von Felix M.
Warburg ins Rollen gekommen. Als der Gründer und der
Ehrenvorsitzende des JDC am 20. September 1937 starb, war
sein Tod für das JDC ein gewaltiger Schlag, weil es nur
wenige Personen im amerikanisch-jüdischen Leben gab, die
seinen Humanitarismus, sein persönliches Interesse, den
betroffenen Juden in der ganzen Welt zu helfen,
vereinigten, samt seinem Ansehen in der jüdischen und der
nichtjüdischen Welt.
Paul Baerwald, sein enger Verbündeter in der JDC-Arbeit,
wurde der Kopf der Organisation, tatsächlich und auch
namentlich. (Jahre vor dem Tod hatte Warburg offiziell die
aktive Arbeit des JDC eingestellt und war
Ehrenvorsitzender geworden - aber in Realität war er
weiter der Lenker der Organisation geblieben).
[Ab 1936/7: Wachsende
JDC-Bedürfnisse verlangen eine neue Struktur -
Einrichtung eines Verwaltungskomitees (Administration
Committee)]
Im Jahr 1936 / 1937 wurde das JDC zu einer grossen
Organisation, und die alten Strukturen schienen nicht mehr
angebracht.
Im Juni 1937 berief ein Kern des Exekutivkomitees ein
Verwaltungskomitee ein, das die täglichen Geschäfte des
JDC erledigen sollte. Es wurde aus jenen Laien
zusammengestellt, die am meisten mit der Arbeit vertraut
waren: James N. Rosenberg, George Backer, Alexander
Kahn, Morris C. Troper, Jonah B. Wise, William Rosenwald,
Herbert J. Seligman, Mrs. Harriet B. Goldstein, David M.
Bressler, und einige weitere.
[Wöchentliche Sitzungen
der repräsentativen Personen Hyman und Baerwald]
Das JDC-Büro wurde von Hyman vertreten, und natürlich war
Paul Baerwald fast immer dabei. Die Sitzungen wurden
zuerst sporadisch angesetzt, aber bald wurden wöchentliche
Sitzungen die Regel.
[1938-1939:
JDC-Strukturreform: Einrichtung eines Lenkungskomitees
(Steering Committee) - das Budget- und
Bereichsleiterkomitee (Budget and Scope Committee)]
Bis Mitte 1939 war sogar das neue Komitees zu schwerfällig
geworden, und es begann sich ein kleines Lenkungskomitee
aus 15 Mitgliedern herauszubilden. Mehr und mehr wurden
die Sitzungen des Exekutivkomitees zu formellen
Angelegenheiten, und die eigentlichen Entscheidungen
wurden in den kleineren Gremien gefällt. (S.250)
Im Spätjahr 1938 und im Frühjahr 1939 wurden Laienkomitees
eingerichtet, um auf verschiedenen Gebieten die
politischen Entscheide umzusetzen. Die Gremien hatten
geographischen Bezug oder waren nach anderen Kriterien
gegründet. Ein spezielles Komitee wurde für kulturelle,
religiöse und erzieherische Angelegenheiten gegründet. Das
Budget- und Finanzrahmenkomitee (Budget and Scope
Committee) behandelte die Finanzplanung.
[JDC:
Spendensammelkomitee - Komitee für Flüchtlingsländer -
Lateinamerikanisches Komitee - Komitee für Polen und
Osteuropa]
Andere Komitees hatten mit Spendensammeln zu tun, mit
Unterbringung, und weitere Fragen. Im Jahr 1938 kam der
Wunsch auf, die Aktivitäten in den verschiedenen Teilen
der Welt zu koordinieren. Es wurde also ein Komitee für
die Flüchtlingsländer unter Edward M.M. Warburg gegründet,
der Sohn von Felix M. Warburg, der den führenden Platz
seines Vaters in der Organisation übernehmen musste. Ein
weiteres Komitee wurde unter Alfred Jaretzki, Jr.,
eingerichtet, um Angelegenheiten in Lateinamerika zu
regeln; für einige Zeit existierte auch ein Komitee für
Polen und Osteuropa unter Alexander Kahn.
[1937: Einrichtung des
Europäischen Rats des JDC]
Ein ähnlicher Prozess begann nun für die europäischen
Operationen und die Operationen des JDC. Im Januar 1937
begann Baerwald, Kahn zu warnen, dass er er in dauerndem
Kontakt mit dem Chefbuchhalter und Vertreter der
Aufbaustiftung sein sollte, David J. Schweitzer, und mit
Joseph A. Rosen. Also wurde ein Europäischer Rat des JDC
eingerichtet, und Kahn wurde der Vorsitzende, Nathan Katz
sein Sekretär.
(Endnote 74: 44-3, Baerwald an Kahn, 1/28/37 [28. Januar
1937])
[April 1938: Ersetzung
von Kahn wegen des Alters und der Staatsangehörigkeit -
Nachfolger Troper]
Die Wahrheit aber war, dass Kahn alt wurde; im Frühjahr
1938 besuchte Troper das Pariser Büro und berichtete, dass
Kahn nicht mehr fähig schien, die gesamte Aufgabe der
JDC-Angelegenheiten zu bewältigen; andere dachten anders.
Im April 1938 wurde an der Sitzung des Exekutivkomitees
der Antrag gestellt, dass Kahn ersetzt würde. Der
Hauptgrund, der im Vordergrund stand, schien logisch
genug: Kahn war kein Amerikaner, und deshalb konnte er
nicht in die deutsch-besetzten Länder reisen. Das JDC
musste für die Zukunft planen, also für den Fall einer
eventuellen deutschen Besetzung der CSSR, und ein
amerikanischer Jude, der den amerikanischen Hintergrund
des JDC kannte, wäre nun die richtige Person, um die
Organisation in Europa zu vertreten. Als Kahn über die
Entscheidung informiert wurde, wehrte er sich nicht. Er
ging nach New York, wurde Amerikaner, und verbrachte den
Rest seines extrem aktiven Lebens als Mitglied des
JDC-Büros.
(Endnote 75:
-- Executive Committee, 4/20/38 [20. April 1938];
-- und vertrauliche Informationen, die dem Autor gegeben
wurden).
An dieser Stelle sollte der Beitrag von Dr. (S.251)
Bernhard Kahn an die jüdische Geschichte der Vorkriegszeit
erwähnt werden. Kahn war der Lenker vieler
jüdisch-wirtschaftlicher Bemühungen auf dem Gebiet des
Aufbaus und der Hilfeleistungen. Hinter seinem kalten und
unnahbaren Äusseren stand ein warmes Herz und ein immens
fruchtbarer Geist. Keiner seiner Gleichaltrigen,
sicherlich niemand seiner Nachfolger im JDC oder anderswo,
konnte sein Wissen über das Judentum, über Zionismus,
Wirtschaft, Geschichte, Sozialarbeit, Philosophie, Kunst -
oder seine Errungenschaften und Interessen auf einem
Dutzend weiteren Gebieten erreichen. Sein Abgang im Jahr
1938 war - wie man vermutete, unausweichlich; aber mit ihm
verschwand eine der grossen Figuren des jüdischen Lebens -
als ein Mann, dessen Name selten, wenn überhaupt, in der
Presse erschien, und dessen vorrangige Beschäftigung mit
praktischen Angelegenheiten es ihm nie erlaubte, seine
Zeit mit kreativer Wissenschaft zu verbringen.
Sein Nachfolger als Vorsitzender des Europäischen Rats des
JDC war Morris C. Troper, bis dann der Chef einer
Buchhalterfirma, der für die Kontrolle der Konten des JDC
verantwortlich war. In vielerlei Weise war Troper das
Gegenteil von Kahn. Er war ein einfacher Mann, mit einem
einfachen Geschmack, ein effizienter Verwalter,
überschwänglich, er war ganz anders als Kahn, er war Ästet
und beherrschte viele Sprachen. Troper hatte ein warmes
Herz, und - nochmals ganz anders als Kahn - er konnte sich
in der Öffentlichkeit viel effektiver ausdrücken als der
scheue, deutsche Jude mit seinem ausländischen Akzent. Der
Unterschied lag u.a. darin, dass Kahn Europa kannte, und
das war seine Stärke; Tropers Stärke lag in der Kenntnis
von Amerika und des amerikanischen Judentums.
Im Herbst 1938 kam Troper nach Europa, um den Posten
seines Vorgängers zu übernehmen.