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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939

[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 6. Der Beginn vom Ende
[E.] Das JDC in den Jahren 1938 / 1939

[6.14. Interne Strukturveränderungen im Joint Distribution Committee 1938 / 1939]

[20. Sep 1937: Tod von Felix M. Warburg - Nachfolger Paul Baerwald]

Die dramatischen Ereignisse in Europa verursachten einen internen Aufruhr im Aufbau des JDC. Die Reorganisation war bereits in den letzten Monaten des Lebens von Felix M. Warburg ins Rollen gekommen. Als der Gründer und der Ehrenvorsitzende des JDC am 20. September 1937 starb, war sein Tod für das JDC ein gewaltiger Schlag, weil es nur wenige Personen im amerikanisch-jüdischen Leben gab, die seinen Humanitarismus, sein persönliches Interesse, den betroffenen Juden in der ganzen Welt zu helfen, vereinigten, samt seinem Ansehen in der jüdischen und der nichtjüdischen Welt.

Paul Baerwald, sein enger Verbündeter in der JDC-Arbeit, wurde der Kopf der Organisation, tatsächlich und auch namentlich. (Jahre vor dem Tod hatte Warburg offiziell die aktive Arbeit des JDC eingestellt und war Ehrenvorsitzender geworden - aber in Realität war er weiter der Lenker der Organisation geblieben).

[Ab 1936/7: Wachsende JDC-Bedürfnisse verlangen eine neue Struktur - Einrichtung eines Verwaltungskomitees (Administration Committee)]

Im Jahr 1936 / 1937 wurde das JDC zu einer grossen Organisation, und die alten Strukturen schienen nicht mehr angebracht.

Im Juni 1937 berief ein Kern des Exekutivkomitees ein Verwaltungskomitee ein, das die täglichen Geschäfte des JDC erledigen sollte. Es wurde aus jenen Laien zusammengestellt, die am meisten mit der Arbeit vertraut waren:  James N. Rosenberg, George Backer, Alexander Kahn, Morris C. Troper, Jonah B. Wise, William Rosenwald, Herbert J. Seligman, Mrs. Harriet B. Goldstein, David M. Bressler, und einige weitere.

[Wöchentliche Sitzungen der repräsentativen Personen Hyman und Baerwald]

Das JDC-Büro wurde von Hyman vertreten, und natürlich war Paul Baerwald fast immer dabei. Die Sitzungen wurden zuerst sporadisch angesetzt, aber bald wurden wöchentliche Sitzungen die Regel.

[1938-1939: JDC-Strukturreform: Einrichtung eines Lenkungskomitees (Steering Committee) - das Budget- und Bereichsleiterkomitee (Budget and Scope Committee)]

Bis Mitte 1939 war sogar das neue Komitees zu schwerfällig geworden, und es begann sich ein kleines Lenkungskomitee aus 15 Mitgliedern herauszubilden. Mehr und mehr wurden die Sitzungen des Exekutivkomitees zu formellen Angelegenheiten, und die eigentlichen Entscheidungen wurden in den kleineren Gremien gefällt. (S.250)

Im Spätjahr 1938 und im Frühjahr 1939 wurden Laienkomitees eingerichtet, um auf verschiedenen Gebieten die politischen Entscheide umzusetzen. Die Gremien hatten geographischen Bezug oder waren nach anderen Kriterien gegründet. Ein spezielles Komitee wurde für kulturelle, religiöse und erzieherische Angelegenheiten gegründet. Das Budget- und Finanzrahmenkomitee (Budget and Scope Committee) behandelte die Finanzplanung.

[JDC: Spendensammelkomitee - Komitee für Flüchtlingsländer - Lateinamerikanisches Komitee - Komitee für Polen und Osteuropa]

Andere Komitees hatten mit Spendensammeln zu tun, mit Unterbringung, und weitere Fragen. Im Jahr 1938 kam der Wunsch auf, die Aktivitäten in den verschiedenen Teilen der Welt zu koordinieren. Es wurde also ein Komitee für die Flüchtlingsländer unter Edward M.M. Warburg gegründet, der Sohn von Felix M. Warburg, der den führenden Platz seines Vaters in der Organisation übernehmen musste. Ein weiteres Komitee wurde unter Alfred Jaretzki, Jr., eingerichtet, um Angelegenheiten in Lateinamerika zu regeln; für einige Zeit existierte auch ein Komitee für Polen und Osteuropa unter Alexander Kahn.

[1937: Einrichtung des Europäischen Rats des JDC]

Ein ähnlicher Prozess begann nun für die europäischen Operationen und die Operationen des JDC. Im Januar 1937 begann Baerwald, Kahn zu warnen, dass er er in dauerndem Kontakt mit dem Chefbuchhalter und Vertreter der Aufbaustiftung sein sollte, David J. Schweitzer, und mit Joseph A. Rosen. Also wurde ein Europäischer Rat des JDC eingerichtet, und Kahn wurde der Vorsitzende, Nathan Katz sein Sekretär.

(Endnote 74: 44-3, Baerwald an Kahn, 1/28/37 [28. Januar 1937])

[April 1938: Ersetzung von Kahn wegen des Alters und der Staatsangehörigkeit - Nachfolger Troper]

Die Wahrheit aber war, dass Kahn alt wurde; im Frühjahr 1938 besuchte Troper das Pariser Büro und berichtete, dass Kahn nicht mehr fähig schien, die gesamte Aufgabe der JDC-Angelegenheiten zu bewältigen; andere dachten anders.

Im April 1938 wurde an der Sitzung des Exekutivkomitees der Antrag gestellt, dass Kahn ersetzt würde. Der Hauptgrund, der im Vordergrund stand, schien logisch genug: Kahn war kein Amerikaner, und deshalb konnte er nicht in die deutsch-besetzten Länder reisen. Das JDC musste für die Zukunft planen, also für den Fall einer eventuellen deutschen Besetzung der CSSR, und ein amerikanischer Jude, der den amerikanischen Hintergrund des JDC kannte, wäre nun die richtige Person, um die Organisation in Europa zu vertreten. Als Kahn über die Entscheidung informiert wurde, wehrte er sich nicht. Er ging nach New York, wurde Amerikaner, und verbrachte den Rest seines extrem aktiven Lebens als Mitglied des JDC-Büros.

(Endnote 75:
-- Executive Committee, 4/20/38 [20. April 1938];
-- und vertrauliche Informationen, die dem Autor gegeben wurden).

An dieser Stelle sollte der Beitrag von Dr. (S.251)

Bernhard Kahn an die jüdische Geschichte der Vorkriegszeit erwähnt werden. Kahn war der Lenker vieler jüdisch-wirtschaftlicher Bemühungen auf dem Gebiet des Aufbaus und der Hilfeleistungen. Hinter seinem kalten und unnahbaren Äusseren stand ein warmes Herz und ein immens fruchtbarer Geist. Keiner seiner Gleichaltrigen, sicherlich niemand seiner Nachfolger im JDC oder anderswo, konnte sein Wissen über das Judentum, über Zionismus, Wirtschaft, Geschichte, Sozialarbeit, Philosophie, Kunst - oder seine Errungenschaften und Interessen auf einem Dutzend weiteren Gebieten erreichen. Sein Abgang im Jahr 1938 war - wie man vermutete, unausweichlich; aber mit ihm verschwand eine der grossen Figuren des jüdischen Lebens - als ein Mann, dessen Name selten, wenn überhaupt, in der Presse erschien, und dessen vorrangige Beschäftigung mit praktischen Angelegenheiten es ihm nie erlaubte, seine Zeit mit kreativer Wissenschaft zu verbringen.

Sein Nachfolger als Vorsitzender des Europäischen Rats des JDC war Morris C. Troper, bis dann der Chef einer Buchhalterfirma, der für die Kontrolle der Konten des JDC verantwortlich war. In vielerlei Weise war Troper das Gegenteil von Kahn. Er war ein einfacher Mann, mit einem einfachen Geschmack, ein effizienter Verwalter, überschwänglich, er war ganz anders als Kahn, er war Ästet und beherrschte viele Sprachen. Troper hatte ein warmes Herz, und - nochmals ganz anders als Kahn - er konnte sich in der Öffentlichkeit viel effektiver ausdrücken als der scheue, deutsche Jude mit seinem ausländischen Akzent. Der Unterschied lag u.a. darin, dass Kahn Europa kannte, und das war seine Stärke; Tropers Stärke lag in der Kenntnis von Amerika und des amerikanischen Judentums.

Im Herbst 1938 kam Troper nach Europa, um den Posten seines Vorgängers zu übernehmen.







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