[C.] Evian
[-Konferenz im Sommer 1938]
[6.7. Die Evian-Konferenz im Juli 1938 - die
Einrichtung eines Überstaatlichen Flüchtlingskomitees
("Intergovernmental Committee on Refugees" (ICR)]
[Viele Länder wollen kein
jüdisches Problem - Bauern für Süd-"Amerika" möglich -
andere Länder folgen den "USA" und erhöhen ihre Quoten
nicht]
An der Konferenz selbst, die zwischen dem 6. und 15. Juli
1938 in Evian in Frankreich abgehalten wurde, scheinen
zwei Hauptideen die Köpfe von Taylor und George L. Warren
beherrscht zu haben, seinen Chefsekretär bzw. seine
Haupthilfe:
-- es sollten Einwanderungsländer gefunden werden, die
liberale Einwanderungsbestimmungen hatten
-- und es sollte ein internationaler Apparat (unter
direkter Führung der USA) geschaffen werden, der mit
Deutschland in Verhandlungen treten sollte.
Bei beiden Punkten gab es aber Schwierigkeiten. Die
Stellungnahmen der verschiedenen Vertreter waren
entmutigend, und oft waren sie antisemitisch gefärbt.
Der australische Vertreter zum Beispiel erklärte, dass "da
wir kein reales Rassenproblem haben, so sind wir nicht
gewillt, ein solches einzuführen". Die
lateinamerikanischen Delegierten waren sehr zurückhaltend
- ein paar Länder wie Brasilien, Argentinien, Kolumbien,
Uruguay, Paraguay und Peru boten eine Aussicht auf
Einwanderung von landwirtschaftlichen Kräften oder Bauern
an. Alle betonten speziell, dass Händlern oder
Intellektuellen keine Einreise gewährt würde.
Nirgendwo wurde eine spezielle Gesetzgebung in Erwägung
gezogen, die eine Einwanderung erlaubt hätte, und
natürlich war die USA dabei das grosse Vorbild.
[GB und die
Commonwealth-Staaten: Palästina ist zu - mögliche
Auswanderung nach Ostafrika möglich]
Der britische Vertreter, Lord Winterton, erklärte, dass
Palästina vorübergehend für eine grossangelegte
Einwanderung geschlossen sei, bis eine Lösung gefunden
sei. Aber er erklärte auch, dass Aussichten für die
Ansiedlung von Flüchtlingen in Kenia und in anderen Teilen
Ostafrikas bestünden.
(Endnote 30:
Die offiziellen Protokolle der Evian-Konferenz sind in
9-28 enthalten. Winterton sagte über Palästina am 7/15/38
[15. Juli 1938]:
"Es scheint unabdingbar, die jüdische Auswanderung zu
unterbrechen - was nie in Betracht gezogen wurde - aber
vorübergehend die Auswanderung gewissen Einschränkungen
von absolut vorübergehendem und ausnahmsweisen Charakter
zu unterwerfen, aber das Ziel ist es, sie in vernünftigem
Rahmen aufrechtzuerhalten, auch die Bevölkerung in ihrer
aktuellen Anzahl zu erhalten, und auf eine definitive
Entscheidung zu warten ... as die politische Zukunft des
Landes angeht" -
(original:
"Il est apparu indispensable, non pas sans doute
l'interrompre l'immigration juive - ce qui n'a jamais été
envisagé - mais de l'assujettir à certaines restrictions
d'un caractère purement temporaire et exceptionnel, ayant
pour but de maintenir, dans les limites raisonnables, la
population dans les rapports numériques actuel, en
attendant une décision définitive ... relativement à
l'avenir politique du pays") -
Die war eine klare Vorahnung weg vom britischen Vorschlag
einer Teilung von 1937 hin zum Weissbuch über Palästina
von 1939. Siehe
-- Morse, op. cit. [Morse, Arthur D.: While Six Million
Died; New York 1968], S. 212-13;
-- Wyman, op. cit. [Wyman, David S.: Paper Walls; Amherst,
Mass., 1968], S. 49-50, and
-- Mashberg, op. cit. [Mashberg, Michael: America and the
Refugee Crisis; M.A. thesis; City University of New York,
1970])
Diese Erklärung war "eine unerwartete und willkommene
Geste."
(Endnote 31: 9-27, Brotman to Laski, ohne Datum [Juli
1938?])
Britannien (S.233)
selbst, so sagte Winterton, war kein Einwanderungsland.
Aber die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs war doch
bereit, seinen Teil innerhalb enger, realisierbarer
Grenzen beizutragen, bei Berücksichtigung des hohen Grads
der Industrialisierung und der grossen Anzahl Arbeitslosen
in Britannien.
[Europäische Vertreter
behaupten, die Juden müssten nach Übersee - kleine
Länder wollen nur vorübergehende Häfen sein]
Die europäischen Länder übertrieben die Notwendigkeit für
eine Auswanderung nach Übersee, aber Holland und Dänemark
betonten ihre relativ liberale Politik als Transitländer.
Der Polizeichef Dr. Rothmund, der für die Schweiz sprach,
die sich geweigert hatte, die Konferenz zu beherbergen,
bestand darauf, dass sein Land nur eine Zwischenstation
auf dem Weg zu anderen Zielen sein könne.
(Endnote 32: Siehe Endnote 30 (oben) und : Ludwig, op.
cit. [Ludwig, Carl: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz
seit 1933 bis zur Gegenwart. Bericht an den Bundesrat;
Zürich, ohne Datum [1957], S. 84, Fussnote 1)
["US"-Vertreter Taylor
meint, dass der Auswanderungsmechanismus beginnen soll
zu laufen]
Taylor selbst hatte keine Illusionen hinsichtlich der
Aussichten auf flüchtlingsfreundliche öffentliche
Regierungserklärungen. In seiner Eröffnungsrede hatte er
noch darauf bestanden, dass die Regierung in der
Flüchtlingsfrage schnell handeln sollten. Nun sagte er
auch, dass es vielleicht nur "erwartet werden könne, dass
die Konferenz den
Mechanismus
in Gang setzen könne und diesen mit schon existierenden
Mechanismen abgleichen könne, so dass dies auf längere
Zeit gesehen zu einer praktischen Verbesserung der
Bedingungen beitragen könne."
(Endnote 33: 9-28, und Wyman, op. cit. [Wyman, David S.:
Paper Walls; Amherst, Mass., 1968], S. 49-50)
[Jüdische Flüchtlinge mit
spezieller Ausbildung werden in einigen Ländern
aufgenommen - Vorbereitung der Flüchtlinge]
Die Erklärungen, die absolut nicht befriedigend waren,
waren nicht so negativ, wie die Presse dieser Zeit und wie
sie historische Berichte seitdem dargestellt haben.
Während wir gesehen haben, dass einige potentielle
Flüchtlingsländer die Berücksichtigung einer Einwanderung
verweigerten, waren andere gewillt, Leute unter gewissen
Bedingungen aufzunehmen. Also galt es nun, die Flüchtlinge
mit den genügenden Mitteln zu versorgen, um sie für die
Einwanderung bei den betroffenen Regierungen der
Einwanderungsländer attraktiv zu machen.
(Endnote 34: 9-28, Brotman Memo, 7/16/38 [16. Juli 1938];
gemäss Brotman, der das britische Abgeordnetengremium
vertrat, konnten die Regierungsvertreter im privaten Kreis
liberaler sein als in öffentlichen Reden).
Dies war nun ohne Zweifel leicht zu erreichen.
[GB und Frankreich wollen
die Diskussion um jüdische Flüchtlinge nur im
Völkerbund]
Britannien und Frankreich zeigten eine widerspenstige
Haltung und wollten die Flüchtlingsfrage nicht ausserhalb
des Völkerbunds diskutieren, denn im Völkerbund hatten sie
einen überragenden Einfluss.
[Malcolm appelliert für
Regierungsgelder für die Auswanderung - eine grosse
Auswanderung scheint nicht möglich]
Sir Neil Malcolm, der Hochkommissar für Flüchtlinge des
Völkerbundes, verärgerte die Amerikaner mit seiner
Äusserung, dass Regierungsgelder nötig wären, und dass
private Organisationen die Last möglicherweise nicht
würden tragen können. Er sprach auch seine Meinung
hinsichtlich der Haltung der Regierungen aus und erklärte,
dass "eine grossangelegte Einwanderung und Ansiedlung ...
zum gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich scheint."
(Endnote 35: New York Times, 7/9/38 [9. Juli 1938])
Warren bewertete seine Rede als "nicht hilfreich".
(Endnote 36: CON-2, Warren an Chamberlain, 7/9/38 [9. Juli
1938])
[Plan für ein
überstaatliches Flüchtlingskomitee (ICR)]
Am Ende aber stimmten die Briten und die Franzosen doch
zu, ein Überstaatliches Flüchtlingskomitee
("Intergovernmental Committee on Refugees" (ICR)
aufzustellen, das (S.234)
in London seinen Sitz hätte; mutmasslich würde das ICR das
Völkerbundkomitee unter Malcolm schlucken.
[Polnische und
rumänisch-jüdische Probleme werden an der
Evian-Konferenz nicht diskutiert!]
Dies waren nicht die einzigen Probleme in Evian. Polen und
Rumänien versuchten, dass die Konferenz auch über die
Auswanderung ihrer jüdischen Bevölkerungen sprach, aber
die Delegationen von Britannien und Frankreich verwarfen
alle solche Versuche sehr energisch. Die Diskussionen
wurden auf die Personen beschränkt - "unfreiwillige
Auswanderer" genannt - die zukünftig gezwungen werden
könnten, aus Deutschland und Österreich zu verschwinden,
und auf jene, die zurückgelassen würden, aber keinen
befriedigenden bleibenden Wohnort finden würden (diese
Zahl wurde auf 30.000 geschätzt).
Weiter gefasste Aspekte der Frage sollten nur
längerfristig diskutiert werden, dann auch mit dem
Auswanderungsproblem des osteuropäischen Judentums.
[Also sind alle europäisch-jiddischen Juden von der
Diskussion ausgenommen...]
Die Delegationen der deutschen und österreichischen Juden,
die von der Gestapo angehalten wurden, der Konferenz
klarzumachen, dass schnell Häfen gefunden werden sollten,
machten einen bedeutenden Eindruck.
(Endnote 37: Ein fiktiver, aber im Grunde wahrer Bericht
ist hier: Hans Habe: The Mission; New York 1966)
[Reden der jüdischen
Organisationen der "freien Länder" - Chaos und keine
Zusammenarbeit]
Die jüdischen Organisationen der freien Länder, es waren
ungefähr 21, präsentierten ein Spektakel von Uneinigkeit
und Durcheinander. Das Liaison Committee unter Norman
Bentwich gab eine Stellungnahme ab, aber die einzelnen
Gruppen wollten nicht auf ihr Recht verzichten, getrennt
zu erscheinen; das Resultat war eine grosse Anzahl Reden,
die sich einander mehr oder weniger wiederholten.
(Endnote 38: Siehe auch Endnote 31 (oben) [Endnote 31:
9-27, Brotman an Laski, ohne Datum [Juli 1938?]; Brotman
fügte hinzu, dass Wintertons Sekretärin "ihr Bestes gab,
Lord Winterton mitzuteilen, dass alle Juden nicht so wie
die Juden an der Konferenz waren." Die Bemerkung deckt die
britischen antisemitischen Instinkte auf, sowie die
britisch-jüdischen Gefühle der Minderwertigkeit, eher als
das Versagen der jüdischen Organisationen).
Jonah B. Wise vertrat das JDC in Evian, und seine
Präsentation am 14. Juli war wirklich eine Zusammenfassung
von dem, was das JDC bis zu dieser Zeit erreicht hatte. Er
betonte, dass die Mittel des JDC beschränkt waren und auf
Freiwilligenbeiträgen basierten, und dass die
Notwendigkeit bestand, dass die Auswanderer etwas von
ihrem eigenen Kapital mitbringen konnten.
["USA" und JDC wollen
Druck auf GB ausüben, Palästina wieder für die jüdischen
Massen zu öffnen]
In offiziellen amerikanischen Augen war die Rolle des JDC
ziemlich wichtig. Vor Evian waren JDC-Führer an ein
informelles Treffen mit Warren, Prof. Joseph P.
Chamberlain und James G. McDonald eingeladen worden, wo
der Druck auf Britannien betont wurde, das seine
Besitzungen für Flüchtlingssiedlungen öffnen sollte. Es
wurde insbesondere festgestellt, dass, wenn Britannien
sich zurückhaltend zeigte, "dann werde das Verhältnis mit
unserer gegenwärtigen Regierung verletzt."
(Endnote 39: 9-27, informelle Sitzung, 6/3/38 [3. Juni
1938])
[Araber und Palästinenser werden nicht gefragt...]
[Goldman vom WJC redet
Klartext]
Es muss betont werden, dass nur der Jüdische Weltkongress,
vertreten (S.235)
durch Dr. Nahum Goldmann, die Appelle der Mässigung
unbeachtet liess.
-- Er [der WJC] griff die deutschen Praktiken scharf an,
-- forderte, dass das jüdische Problem als ein Ganzes
angesehen wurde,
-- sagte, dass Juden, die aus Osteuropa flohen, auch
geholfen werden sollte,
-- und bestand darauf, dass unkultivierte Gebiete für
jüdische Siedlungen bereitgehalten werden müssten.
-- Der WJC dachte auch, dass die Finanzierung mit
Regierungsgeldern unabdingbar war, weil private Agenturen
nicht fähig wären, die Auswanderung selbst zu
unterstützen.
[Die Resultate von Evian:
Tatsächlich kein grosses Resultat - das ICR wird unter
Direktor Rublee eingerichtet]
Das JDC war über das Ergebnis von Evian nicht verärgert.
McDonald erklärte am 14. Juli in einem Telefongespräch mit
Baerwald, dass er "befriedigt" sei, "dass sie alles
erreicht hätten, das unter diesen Umständen erwartet
werden konnte."
(Endnote 40: ebenda [9-27, informelle Sitzung], McDonald
an Baerwald (Telefon), 7/14/38 [14. Juli 1938])
Baerwald stimmte dem zu. Es muss daran erinnert werden,
dass das JDC in Taylors Absichten eingeweiht war, bei der
Konferenz die USA zu veranlassen, ein überstaatliches
Flüchtlingskomitee (ICR) einzurichten, dessen Aufgabe sein
sollte, wie Taylor es immer wieder wiederholte, mit den
Deutschen zu verhandeln. Das JDC stand dieser Denkweise
wohlwollend gegenüber. Dessen Sekretär in Paris, Nathan
Katz, wurde beauftragt, such auf das erste Treffen der ICR
am 3. August in London vorzubereiten und daran
teilzunehmen. Taylors Stellungnahme - so schrieb Katz -
wurde bei dieser Gelegenheit "in Paris in Zusammenarbeit
mit Dr. Kahn und mit mir" vorbereitet.
(Endnote 41: ebenda [9-27, informelle Sitzung], Katz an
Baerwald, 8/9/38 [9. August 1938])
Typischerweise wurde beim überstaatlichen
Flüchtlingskomitee ICR ("Intergovernmental Committee on
Refugees") eine Zahl von 660.000 betroffenen Menschen in
Deutschland genannt. In dieser Zahl waren die verfolgten
"Nicht-Arier" und andere Nichtjuden miteinbezogen, so dass
der jüdische Aspekt so gut wie möglich in den Hintergrund
gestellt werden konnte.
[und dies bezog wahrscheinlich Österreich mit ein, da
Österreich zu Deutschland geworden war. Aber es fehlt jede
Angabe].
Nach einigem Feilschen wurde der ICR von den Regierungen
ein kleines administratives Budget zugesprochen, und
George Rublee, ein amerikanischer Anwalt, wurde als
Direktor gewählt - der zukünftige Verhandlungsführer mit
Deutschland. Ein Vizedirektor, Robert Pell, wurde vom
Aussenministerium der USA bezahlt. Dies deutete darauf
hin, dass diese Vorgänge von der amerikanischen Diplomatie
als einigermassen wichtig betrachtet wurden.
(Endnote 42:
-- Morse, op. cit. [Morse, Arthur D.: While Six Million
Died; New York 1968], S. 218-19;
-- Wyman, op. cit. [Wyman, David S.: Paper Walls; Amherst,
Mass., 1968], S. 51-52)
Die JDC-Führung neigte dazu, es als einen grossen Schritt
vorwärts anzusehen, dass nun amerikanische und
internationale Verpflichtungen beim Flüchtlingsproblem
bestanden. Kahn schrieb über "die Botschaft der
Evian-Konferenz, die Bedeutung des grossen
Zusammenkommens, das feierlich die eigentliche
Verantwortlichkeit gegenüber der Menschlichkeit durch die
Lösung des Flüchtlingsproblems versicherte." (S.236)
(Endnote 43: Executive Committee, Kahn an die Budget- und
Bereichsleiterkommission ("Budget and Scope Committee"),
9/18/38 [18. September 1938])
Als ein Resultat der Evian-Konferenz übernahmen die
meisten Regierungen eine Haltung des "Abwartens und
Zusehens" ("wait and see"). Das unmittelbare Resultat der
Konferenz war gar nichts. (S.239)