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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939

[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 6. Der Beginn vom Ende
[C.] Evian [-Konferenz im Sommer 1938]

[6.7. Die Evian-Konferenz im Juli 1938 - die Einrichtung eines Überstaatlichen Flüchtlingskomitees ("Intergovernmental Committee on Refugees" (ICR)]

[Viele Länder wollen kein jüdisches Problem - Bauern für Süd-"Amerika" möglich - andere Länder folgen den "USA" und erhöhen ihre Quoten nicht]

An der Konferenz selbst, die zwischen dem 6. und 15. Juli 1938 in Evian in Frankreich abgehalten wurde, scheinen zwei Hauptideen die Köpfe von Taylor und George L. Warren beherrscht zu haben, seinen Chefsekretär bzw. seine Haupthilfe:

-- es sollten Einwanderungsländer gefunden werden, die liberale Einwanderungsbestimmungen hatten
-- und es sollte ein internationaler Apparat (unter direkter Führung der USA) geschaffen werden, der mit Deutschland in Verhandlungen treten sollte.

Bei beiden Punkten gab es aber Schwierigkeiten. Die Stellungnahmen der verschiedenen Vertreter waren entmutigend, und oft waren sie antisemitisch gefärbt.

Der australische Vertreter zum Beispiel erklärte, dass "da wir kein reales Rassenproblem haben, so sind wir nicht gewillt, ein solches einzuführen". Die lateinamerikanischen Delegierten waren sehr zurückhaltend - ein paar Länder wie Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Uruguay, Paraguay und Peru boten eine Aussicht auf Einwanderung von landwirtschaftlichen Kräften oder Bauern an. Alle betonten speziell, dass Händlern oder Intellektuellen keine Einreise gewährt würde.

Nirgendwo wurde eine spezielle Gesetzgebung in Erwägung gezogen, die eine Einwanderung erlaubt hätte, und natürlich war die USA dabei das grosse Vorbild.

[GB und die Commonwealth-Staaten: Palästina ist zu - mögliche Auswanderung nach Ostafrika möglich]

Der britische Vertreter, Lord Winterton, erklärte, dass Palästina vorübergehend für eine grossangelegte Einwanderung geschlossen sei, bis eine Lösung gefunden sei. Aber er erklärte auch, dass Aussichten für die Ansiedlung von Flüchtlingen in Kenia und in anderen Teilen Ostafrikas bestünden.

(Endnote 30:
Die offiziellen Protokolle der Evian-Konferenz sind in 9-28 enthalten. Winterton sagte über Palästina am 7/15/38 [15. Juli 1938]:
"Es scheint unabdingbar, die jüdische Auswanderung zu unterbrechen - was nie in Betracht gezogen wurde - aber vorübergehend die Auswanderung gewissen Einschränkungen von absolut vorübergehendem und ausnahmsweisen Charakter zu unterwerfen, aber das Ziel ist es, sie in vernünftigem Rahmen aufrechtzuerhalten, auch die Bevölkerung in ihrer aktuellen Anzahl zu erhalten, und auf eine definitive Entscheidung zu warten ... as die politische Zukunft des Landes angeht" -

(original:
"Il est apparu indispensable, non pas sans doute l'interrompre l'immigration juive - ce qui n'a jamais été envisagé - mais de l'assujettir à certaines restrictions d'un caractère purement temporaire et exceptionnel, ayant pour but de maintenir, dans les limites raisonnables, la population dans les rapports numériques actuel, en attendant une décision définitive ... relativement à l'avenir politique du pays") -

Die war eine klare Vorahnung weg vom britischen Vorschlag einer Teilung von 1937 hin zum Weissbuch über Palästina von 1939. Siehe
-- Morse, op. cit. [Morse, Arthur D.: While Six Million Died; New York 1968], S. 212-13;
-- Wyman, op. cit. [Wyman, David S.: Paper Walls; Amherst, Mass., 1968], S. 49-50, and
-- Mashberg, op. cit. [Mashberg, Michael: America and the Refugee Crisis; M.A. thesis; City University of New York, 1970])

Diese Erklärung war "eine unerwartete und willkommene Geste."

(Endnote 31: 9-27, Brotman to Laski, ohne Datum [Juli 1938?])

Britannien (S.233)

selbst, so sagte Winterton, war kein Einwanderungsland. Aber die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs war doch bereit, seinen Teil innerhalb enger, realisierbarer Grenzen beizutragen, bei Berücksichtigung des hohen Grads der Industrialisierung und der grossen Anzahl Arbeitslosen in Britannien.

[Europäische Vertreter behaupten, die Juden müssten nach Übersee - kleine Länder wollen nur vorübergehende Häfen sein]

Die europäischen Länder übertrieben die Notwendigkeit für eine Auswanderung nach Übersee, aber Holland und Dänemark betonten ihre relativ liberale Politik als Transitländer. Der Polizeichef Dr. Rothmund, der für die Schweiz sprach, die sich geweigert hatte, die Konferenz zu beherbergen, bestand darauf, dass sein Land nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu anderen Zielen sein könne.

(Endnote 32: Siehe Endnote 30 (oben) und : Ludwig, op. cit. [Ludwig, Carl: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart. Bericht an den Bundesrat; Zürich, ohne Datum [1957], S. 84, Fussnote 1)

["US"-Vertreter Taylor meint, dass der Auswanderungsmechanismus beginnen soll zu laufen]

Taylor selbst hatte keine Illusionen hinsichtlich der Aussichten auf flüchtlingsfreundliche öffentliche Regierungserklärungen. In seiner Eröffnungsrede hatte er noch darauf bestanden, dass die Regierung in der Flüchtlingsfrage schnell handeln sollten. Nun sagte er auch, dass es vielleicht nur "erwartet werden könne, dass die Konferenz den Mechanismus in Gang setzen könne und diesen mit schon existierenden Mechanismen abgleichen könne, so dass dies auf längere Zeit gesehen zu einer praktischen Verbesserung der Bedingungen beitragen könne."

(Endnote 33: 9-28, und Wyman, op. cit. [Wyman, David S.: Paper Walls; Amherst, Mass., 1968], S. 49-50)

[Jüdische Flüchtlinge mit spezieller Ausbildung werden in einigen Ländern aufgenommen - Vorbereitung der Flüchtlinge]

Die Erklärungen, die absolut nicht befriedigend waren, waren nicht so negativ, wie die Presse dieser Zeit und wie sie historische Berichte seitdem dargestellt haben. Während wir gesehen haben, dass einige potentielle Flüchtlingsländer die Berücksichtigung einer Einwanderung verweigerten, waren andere gewillt, Leute unter gewissen Bedingungen aufzunehmen. Also galt es nun, die Flüchtlinge mit den genügenden Mitteln zu versorgen, um sie für die Einwanderung bei den betroffenen Regierungen der Einwanderungsländer attraktiv zu machen.

(Endnote 34: 9-28, Brotman Memo, 7/16/38 [16. Juli 1938]; gemäss Brotman, der das britische Abgeordnetengremium vertrat, konnten die Regierungsvertreter im privaten Kreis liberaler sein als in öffentlichen Reden).

Dies war nun ohne Zweifel leicht zu erreichen.

[GB und Frankreich wollen die Diskussion um jüdische Flüchtlinge nur im Völkerbund]

Britannien und Frankreich zeigten eine widerspenstige Haltung und wollten die Flüchtlingsfrage nicht ausserhalb des Völkerbunds diskutieren, denn im Völkerbund hatten sie einen überragenden Einfluss.

[Malcolm appelliert für Regierungsgelder für die Auswanderung - eine grosse Auswanderung scheint nicht möglich]

Sir Neil Malcolm, der Hochkommissar für Flüchtlinge des Völkerbundes, verärgerte die Amerikaner mit seiner Äusserung, dass Regierungsgelder nötig wären, und dass private Organisationen die Last möglicherweise nicht würden tragen können. Er sprach auch seine Meinung hinsichtlich der Haltung der Regierungen aus und erklärte, dass "eine grossangelegte Einwanderung und Ansiedlung ... zum gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich scheint."

(Endnote 35: New York Times, 7/9/38 [9. Juli 1938])

Warren bewertete seine Rede als "nicht hilfreich".

(Endnote 36: CON-2, Warren an Chamberlain, 7/9/38 [9. Juli 1938])

[Plan für ein überstaatliches Flüchtlingskomitee (ICR)]

Am Ende aber stimmten die Briten und die Franzosen doch zu, ein Überstaatliches Flüchtlingskomitee ("Intergovernmental Committee on Refugees" (ICR) aufzustellen, das (S.234)

in London seinen Sitz hätte; mutmasslich würde das ICR das Völkerbundkomitee unter Malcolm schlucken.

[Polnische und rumänisch-jüdische Probleme werden an der Evian-Konferenz nicht diskutiert!]

Dies waren nicht die einzigen Probleme in Evian. Polen und Rumänien versuchten, dass die Konferenz auch über die Auswanderung ihrer jüdischen Bevölkerungen sprach, aber die Delegationen von Britannien und Frankreich verwarfen alle solche Versuche sehr energisch. Die Diskussionen wurden auf die Personen beschränkt - "unfreiwillige Auswanderer" genannt - die zukünftig gezwungen werden könnten, aus Deutschland und Österreich zu verschwinden, und auf jene, die zurückgelassen würden, aber keinen befriedigenden bleibenden Wohnort finden würden (diese Zahl wurde auf 30.000 geschätzt).

Weiter gefasste Aspekte der Frage sollten nur längerfristig diskutiert werden, dann auch mit dem Auswanderungsproblem des osteuropäischen Judentums.

[Also sind alle europäisch-jiddischen Juden von der Diskussion ausgenommen...]

Die Delegationen der deutschen und österreichischen Juden, die von der Gestapo angehalten wurden, der Konferenz klarzumachen, dass schnell Häfen gefunden werden sollten, machten einen bedeutenden Eindruck.

(Endnote 37: Ein fiktiver, aber im Grunde wahrer Bericht ist hier: Hans Habe: The Mission; New York 1966)

[Reden der jüdischen Organisationen der "freien Länder" - Chaos und keine Zusammenarbeit]

Die jüdischen Organisationen der freien Länder, es waren ungefähr 21, präsentierten ein Spektakel von Uneinigkeit und Durcheinander. Das Liaison Committee unter Norman Bentwich gab eine Stellungnahme ab, aber die einzelnen Gruppen wollten nicht auf ihr Recht verzichten, getrennt zu erscheinen; das Resultat war eine grosse Anzahl Reden, die sich einander mehr oder weniger wiederholten.

(Endnote 38: Siehe auch Endnote 31 (oben) [Endnote 31: 9-27, Brotman an Laski, ohne Datum [Juli 1938?]; Brotman fügte hinzu, dass Wintertons Sekretärin "ihr Bestes gab, Lord Winterton mitzuteilen, dass alle Juden nicht so wie die Juden an der Konferenz waren." Die Bemerkung deckt die britischen antisemitischen Instinkte auf, sowie die britisch-jüdischen Gefühle der Minderwertigkeit, eher als das Versagen der jüdischen Organisationen).

Jonah B. Wise vertrat das JDC in Evian, und seine Präsentation am 14. Juli war wirklich eine Zusammenfassung von dem, was das JDC bis zu dieser Zeit erreicht hatte. Er betonte, dass die Mittel des JDC beschränkt waren und auf Freiwilligenbeiträgen basierten, und dass die Notwendigkeit bestand, dass die Auswanderer etwas von ihrem eigenen Kapital mitbringen konnten.

["USA" und JDC wollen Druck auf GB ausüben, Palästina wieder für die jüdischen Massen zu öffnen]

In offiziellen amerikanischen Augen war die Rolle des JDC ziemlich wichtig. Vor Evian waren JDC-Führer an ein informelles Treffen mit Warren, Prof. Joseph P. Chamberlain und James G. McDonald eingeladen worden, wo der Druck auf Britannien betont wurde, das seine Besitzungen für Flüchtlingssiedlungen öffnen sollte. Es wurde insbesondere festgestellt, dass, wenn Britannien sich zurückhaltend zeigte, "dann werde das Verhältnis mit unserer gegenwärtigen Regierung verletzt."

(Endnote 39: 9-27, informelle Sitzung, 6/3/38 [3. Juni 1938])

[Araber und Palästinenser werden nicht gefragt...]

[Goldman vom WJC redet Klartext]

Es muss betont werden, dass nur der Jüdische Weltkongress, vertreten (S.235)

durch Dr. Nahum Goldmann, die Appelle der Mässigung unbeachtet liess.

-- Er [der WJC] griff die deutschen Praktiken scharf an,
-- forderte, dass das jüdische Problem als ein Ganzes angesehen wurde,
-- sagte, dass Juden, die aus Osteuropa flohen, auch geholfen werden sollte,
-- und bestand darauf, dass unkultivierte Gebiete für jüdische Siedlungen bereitgehalten werden müssten.
-- Der WJC dachte auch, dass die Finanzierung mit Regierungsgeldern unabdingbar war, weil private Agenturen nicht fähig wären, die Auswanderung selbst zu unterstützen.

[Die Resultate von Evian: Tatsächlich kein grosses Resultat - das ICR wird unter Direktor Rublee eingerichtet]

Das JDC war über das Ergebnis von Evian nicht verärgert. McDonald erklärte am 14. Juli in einem Telefongespräch mit Baerwald, dass er "befriedigt" sei, "dass sie alles erreicht hätten, das unter diesen Umständen erwartet werden konnte."

(Endnote 40: ebenda [9-27, informelle Sitzung], McDonald an Baerwald (Telefon), 7/14/38 [14. Juli 1938])

Baerwald stimmte dem zu. Es muss daran erinnert werden, dass das JDC in Taylors Absichten eingeweiht war, bei der Konferenz die USA zu veranlassen, ein überstaatliches Flüchtlingskomitee (ICR) einzurichten, dessen Aufgabe sein sollte, wie Taylor es immer wieder wiederholte, mit den Deutschen zu verhandeln. Das JDC stand dieser Denkweise wohlwollend gegenüber. Dessen Sekretär in Paris, Nathan Katz, wurde beauftragt, such auf das erste Treffen der ICR am 3. August in London vorzubereiten und daran teilzunehmen. Taylors Stellungnahme - so schrieb Katz - wurde bei dieser Gelegenheit "in Paris in Zusammenarbeit mit Dr. Kahn und mit mir" vorbereitet.

(Endnote 41: ebenda [9-27, informelle Sitzung], Katz an Baerwald, 8/9/38 [9. August 1938])

Typischerweise wurde beim überstaatlichen Flüchtlingskomitee ICR ("Intergovernmental Committee on Refugees") eine Zahl von 660.000 betroffenen Menschen in Deutschland genannt. In dieser Zahl waren die verfolgten "Nicht-Arier" und andere Nichtjuden miteinbezogen, so dass der jüdische Aspekt so gut wie möglich in den Hintergrund gestellt werden konnte.

[und dies bezog wahrscheinlich Österreich mit ein, da Österreich zu Deutschland geworden war. Aber es fehlt jede Angabe].

Nach einigem Feilschen wurde der ICR von den Regierungen ein kleines administratives Budget zugesprochen, und George Rublee, ein amerikanischer Anwalt, wurde als Direktor gewählt - der zukünftige Verhandlungsführer mit Deutschland. Ein Vizedirektor, Robert Pell, wurde vom Aussenministerium der USA bezahlt. Dies deutete darauf hin, dass diese Vorgänge von der amerikanischen Diplomatie als einigermassen wichtig betrachtet wurden.

(Endnote 42:
-- Morse, op. cit. [Morse, Arthur D.: While Six Million Died; New York 1968], S. 218-19;
-- Wyman, op. cit. [Wyman, David S.: Paper Walls; Amherst, Mass., 1968], S. 51-52)

Die JDC-Führung neigte dazu, es als einen grossen Schritt vorwärts anzusehen, dass nun amerikanische und internationale Verpflichtungen beim Flüchtlingsproblem bestanden. Kahn schrieb über "die Botschaft der Evian-Konferenz, die Bedeutung des grossen Zusammenkommens, das feierlich die eigentliche Verantwortlichkeit gegenüber der Menschlichkeit durch die Lösung des Flüchtlingsproblems versicherte." (S.236)

(Endnote 43: Executive Committee, Kahn an die Budget- und Bereichsleiterkommission ("Budget and Scope Committee"), 9/18/38 [18. September 1938])

Als ein Resultat der Evian-Konferenz übernahmen die meisten Regierungen eine Haltung des "Abwartens und Zusehens" ("wait and see"). Das unmittelbare Resultat der Konferenz war gar nichts. (S.239)







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