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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939

[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 6. Der Beginn vom Ende
[A.] Österreich

[6.1. Die Strukturen des Judentums in Österreich 1919-1938 - 185.246 gezählte Juden im Jahr 1938]

Die Annexion (Anschluss) Österreichs am 13. März 1938 lässt 185.246 Juden in deutsche Hände fallen, die grosse Mehrheit davon lebt in Wien.

(Endnote 1: Herbert Rosenkranz: The Anschluss and the Tragedy of Austrian Jewry, 1938-1945; In: Josef Frankel (Hrsg.): The Jews of Austria; London 1967, S.486)

[Ergänzung: Ab dem 13. März 1938 wird Deutschland vom Hitler-Regime "Grossdeutschland" genannt. Dieses Wort wird ein wichtiger Faktor der inneren Nazi-Propaganda. Unter der NS-Besetzung werden ungefähr weitere 150.000 Personen als Juden gezählt (Halbjuden, Vierteljuden und 3/4-Juden) (S.228), so dass insgesamt 335,246 Personen in Österreich als Juden gelten].

[Die Struktur des österreichischen Judentums: 80 % der Zeitungen sind jüdisch etc.]

Das österreichische Judentum war ärmer als das Judentum in Deutschland, und es war weniger gut organisiert. Grosse Teile der österreichischen Juden waren von der Fürsorge abhängig, und das Verteilungskomitee JDC musste schon vor 1938 Hilfsoperationen unterstützen und Kreditkassen einführen. Die Konzentration von Juden in gewissen Wirtschaftsbranchen war sehr auffällig: 90 % der Werbeindustrie war jüdisch, 85 % der Leute im Möbelhandel waren jüdisch, 80 % der beim Radio, bei den Zeitungen, und in der Schuhindustrie waren jüdisch. Noch wichtiger - da noch offensichtlicher - war, dass 51,6 % der Ärzte und Zahnärzte sowie 62 % der Anwälte in Wien Juden waren.

(Endnote 2: ebenda [Herbert Rosenkranz: The Anschluss and the Tragedy of Austrian Jewry, 1938-1945; In: Josef Frankel (editor): The Jews of Austria; London 1967], S.480)

[Seit Jahrzehnten provoziert die Tatsache, dass 80 % der Zeitungen jüdisch sind, die österreichische Bevölkerung, und es ist schade, dass die jüdische Taktik seit 1900 nicht geändert hat].

Diese Konzentration bei den Arbeitsstellen machte die Juden verdächtig und gleichzeitig verletzlich. Der österreichische Antisemitismus war nicht neu. Zu Beginn der Jahrhunderts war Wiens Bürgermeister Karl Lueger mittels einer Antisemitismuswelle an die Macht gelangt; der junge Hitler hatte seinen Hass gegen Juden während dieser Zeit in den Slums von Wien entwickelt.

[Wichtige Ergänzung über die Geschichte des österreichischen Antisemitismus und Hitler:

Es gab schon davor einen starken Antisemitismus in Österreich: Seit dem weltweiten Börsenzusammenbruch im Jahre 1873, als die Juden generell der Spekulation mit allen Nationen beschuldigt wurden, setzte ein immer mehr wachsender populärer Antisemitismus ein. Zudem half die österreichische Regierung den österreichisch-jüdischen Banken, aber die österreichische Bevölkerung erhielt keine Hilfe, ihre Schulden zu begleichen, und vor allem wurde den österreichischen Bauern nicht geholfen. Durch diese Tatsachen entwickelte sich unter Schoenerer eine nationale Bewegung, die einen schlimmen Antisemitismus verbreitete. Dabei wurde übersehen, dass auch viele Juden unter dem weltweiten Börsenzusammenbruch zu leiden hatten. In dieser Zeit ging Hitler in die Schule, und durch die Schule wurde ihm der Antisemitismus in seine Seele eingepflanzt.

Dann kam Lueger, der mit einem moderaten Antisemitismus arbeitete. Er brachte die Slums in Wien zum Verschwinden und baute neue Strukturen der Industrialisierung auf. Aber zusätzlich sah Hitler im Jahr 1896 den Zusammenbruch der Demokratie in Österreich, indem den Tschechen und den Polen in der altmodischen Monarchie das gleiche Stimmrecht gegeben wurde. Dadurch gerieten die Deutschösterreicher im Parlament in eine Minderheit, und die Monarchie konnte nicht mehr regulär regiert werden. Hitlers Fehler aber war, dass er nicht ins Ausland ging, um sich andere funktionierende Demokratien anzuschauen, z.B. in Deutschland, oder in der Schweiz. Genau zu dieser Zeit kamen auch viele osteuropäische Juden nach Wien, die für die Wiener Bevölkerung sehr fremd aussahen, sich nicht oft wuschen etc. und dies provozierte ebenfalls Antisemitismus.

Seit 1871 (ab dem deutschen Sieg gegen Frankreich) wurde der österreichische Nationalismus stark: Die Deutschösterreicher wollten den Anschluss an Deutschland seit 1871, aber der Kaiser in Wien blockierte, weil sonst der Kaiser in Wien gegenüber dem Kaiser in Berlin ein Kaiser zweiter Klasse geworden wäre. Also hielt der Kaiser in Wien das Gleichgewicht in Europa mittels Verbindungen zu Frankreich aufrecht. Dies provozierte wiederum den Hass der Deutschösterreicher gegen Frankreich. Zudem waren da die Slawen (Tschechen, Kroaten und Serben), die Österreich zerstören wollten, indem sie eine Bevölkerungsbrücke zwischen dem Balkan und der Tschechoslowakei installieren wollten. Der Höhepunkt war, dass der Kaiser in Wien berittene tschechische und balkanesische Polizei nach Deutschösterreich holen liess, um deutschnationale Demonstrationen für eine Union mit Deutschland niederzuschlagen.

Durch all diese Fehler in der Politik über Jahrzehnte hinweg, und durch seine eigene Unfähigkeit, wurde Hitlers Seele vergiftet, und auch ein grosser Teil der österreichischen Bevölkerung konnte die negativen Gefühle gegen die jüdischen Banken, gegen den Kaiser und gegen die Demokratie nie loswerden. Hitler wollte malen und wurde in Wien als Schüler zweimal abgelehnt, dann ging er nach München und kämpfte ab 1914 als Österreicher in der deutschen Armee.

Seit 1919, seit dem Versailler Vertrag gegen Deutschland (mit dem Raub von Ostpreussen und mit den französisch-polnischen Manipulationen in Versailles) gab es auch in Deutschland eine Massenbewegung gegen die Demokratie (Frankreich und Britannien raubten von Deutschland alle Kolonien). Und der Vertrag von St-Germain gegen Österreich verfügte, dass ein grosser Teil der deutschösterreichischen Gebiete an die Tschechoslowakei, an Ungarn, und an Jugoslawien abzutreten war, gegen jedes Völkerrecht. Durch diese Willkür sträubte sich nun auch die neue österreichische Regierung, ihr Land als Mini-Staat neu zu organisieren. Bis 1926 herrschte somit in Deutschösterreich eine grosse Arbeitslosigkeit, und die Gefühle der Österreicher und der Deutschen waren fast dieselben, und dies zur gleichen Zeit. Frankreich verbot einen Zusammenschluss von Deutschland und Mini-Österreich im Versailler Vertrag wie auch im Vertrag von St-Germain.

Somit hatte der Nationalsozialismus einen weite Grundlage, sich als eine Kraft gegen die kriminelle französische Demokratie auszubreiten - und zusätzlich - auch gegen Lenins Kommunismus, der von "amerikanischen", jüdischen Banken (Schiff) finanziert war. Die Kirche unterstützte den Nationalsozialismus am Ende gegen den Kommunismus, und die meisten kommunistischen Führer waren Juden, und durch diese Mehrheit wurden sie zur Zielscheibe jeglicher nationalen Propaganda.

Zusätzlich unterstützten die rassistischen Wirtschaftsführer der "USA" unter Roosevelt Nazi-Deutschland mit Technik. Sie wollten, dass Hitler den Kommunismus zerschlagen würde. Also waren sowohl der Kommunismus und der Hitlerismus durch "US"-Banken finanziert, und am Ende sollte Europa zerstört werden, und das Judentum war zwischen diesen Kräften eingeschlossen. Das Judentum sah diese Zusammenhänge nicht und erklärte die "USA" - den Zerstörer von Europa - als sicheren Hafen. Dadurch wurde Europa gut zerschlagen. Dies sind Fakten und keine "Theorie"...].

[Gespaltenes Judentum in Österreich zwischen Zionisten und dem linken Flügel]

Das Wiener Judentum war in viele Teile gespalten (zur Zeit des Anschluss gab es in Wien 88 religiöse Vereinigungen und 356 sekuläre Organisationen)

(Endnote 3: ebenda [Herbert Rosenkranz: The Anschluss and the Tragedy of Austrian Jewry, 1938-1945; In: Josef Frankel (editor): The Jews of Austria; London 1967], S.481)

und die offizielle Gemeindeorganisation (S.223)

- die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) - litt unter einem beträchtlichen inneren Konflikt. Zwei Hauptgruppen stritten um die Führung:

-- die Union, eine liberale Gruppe mit starken assimilationistischen Tendenzen, in vielen Bereichen ähnlich wie der deutsch-jüdische Central-Verein (CV)
-- und die Zionisten, die aber in sich wiederum in eine grosse Anzahl Fraktionen gespalten waren.

[1934: Sozialisten werden durch die Dollfuss-Regierung eliminiert]

Vor 1934 waren die Sozialisten noch die dritte signifikante Gruppe gewesen, jüdische Mitglieder der starken österreichischen Marxistenpartei. Die Niederlage des österreichischen Sozialismus im Kampf im Februar 1934 in Wien, zugunsten der österreichischen proto-faschistischen klerikalen Partei unter Dollfuss, brachte die Juden in Gefahr, weil im Grossen und Ganzen die jüdischen Sympathien auf der Seite der Sozialisten waren; elf der 30 verhafteten Sozialistenführer waren Juden. Aber zwei IKG-Führer wurden von der Regierung ins Ausland geschickt, um zu zeigen, dass keine antisemitischen Massnahmen geplant waren.

[1934-1937: Nach dem Börsenzusammenbruch 1929: Wirtschaftliche Misere für Juden in Österreich]

Während die politische Gefahr abnahm, breitete sich die wirtschaftliche Misere aus. Im Jahr 1935 sandte das Verteilungskomitee JDC 20.000 $, um Suppenküchen für das verarmte jüdische Proletariat am Laufen zu halten. Im Jahr 1934 waren ein Viertel der Juden in Wien von der Fürsorge abhängig. Die Situation verbesserte sich in den Jahren 1936 und 1937 nicht; im Jahr 1937 waren 35,5 % der jüdischen, arbeitenden Bevölkerung arbeitslos.

(Endnote 4:
-- 14-51, Bericht, 2/7/34 [7. Februar 1934];
--  8-18, Bericht, 2/28/34 [28. Februar 1934], und weiteres Material in diesem Ordner
-- siehe auch R62)

[1934: Installation eine jüdischen Rats der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien]

Nach den Ereignissen von 1934 wurde ein Rat des IKG zusammengestellt. Es waren 20 Zionisten (16 der Mittelklasse und 4 sozialistische Zionisten), und 15 Repräsentanten der Union. Zur Zeit des Anschluss war der Führer der IKG ein Zionist, Dr. Desider Friedmann, und ein anderer Zionist, Dr. Josef Löwenherz, wurde immer wichtiger.

Trotz der Beliebtheit des letzten Kanzlers des unabhängigen Österreich, Kurt von Schuschnigg, wurde der Anschluss von fast allen Österreichern begrüsst.

[Schuschnigg war nicht beliebt, und 99 % der deutschösterreichischen Bevölkerung wollte den Anschluss, weil er seit 1871 gewollt war. Deswegen bewarf die Bevölkerung die Soldaten mit Blumen. Aber die Österreicher wussten nicht, was es heisst, in einem nationalsozialistischen Deutschland zu leben, und schon nach drei Monaten bereuten sie den Anschluss bitterlich, als die NS-Verwaltung eine neue Nazi-Verwaltung mit neuen Provinzgrenzen in Österreich aufzog etc.].







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