[C. 5.18.]
Tschechoslowakei und Ungarn [1933-1938]
[Das JDC im
subkarpathischen Russland]
Ein weiteres
Gebiet, in dem vom Verteilungskomitee beträchtliche
Geldsummen und Energie aufgewendet wurden, war das
subkarpathische Russland (oder in tschechischer Abkürzung
PKR), der östlichste Zipfel der Tschechoslowakei. Dort
lebte eine meist orthodoxe jüdische Gemeinde, die ihre
Lebensgrundlage im Kleinhandel, in der Landwirtschaft und
in der Forstwirtschaft hatte. Und da war auch eine
berühmte hebräische Oberschule (S.218)
in Munkács (Mukachevo) und eine Anzahl von yeshivoth. Im
Jahre 1933 startete das JDC ein Ernährungsprogramm für
Kinder.
(Endnote 88: JDC Bericht für 1933)
Hin und wieder wurden kleine Summen für
Ausbildungseinrichtungen oder kleine jüdische
Werkstättenkooperativen bewilligt, vor allem in den
Branchen Automobilreparaturen und Textilien. Das Meiste
dieser Arbeit wurde in Verbindung mit dem Jüdischen
Sozialen Institut in Prag und einer parallelen
Organisation in Bratislava abgewickelt.
Etwa 15.000 Juden aus der
CSSR gelang zwischen 1938 und Ende 1939 die Auswanderung
nach Palästina, überwiegend durch "illegale"
Auswanderung.
orig. Englisch:
<About 15,000 Jews from Czechoslovakia succeeded in
reaching Palestine between the autumn of 1938 and the
end of 1939, the overwhelming majority by means of
"illegal" immigration.>
(from: Encyclopaedia Judaica (1971): Zionism, Vol. 16,
col. 1113)
[Das JDC in Ungarn]
Im Nachbarland Ungarn operierte das JDC bis in die 1930er
Jahre überhaupt nicht, aber die dortigen Entwicklungen
wurden mit wachsender Sorge verfolgt. Die jüdische
Bevölkerung in Ungarn ging eigentlich zurück. Dies war ein
Resultat der zahlreichen Umschichtungen innerhalb der
oberen Schichten der jüdischen Gesellschaft und des
Rückgangs der Geburtenrate. Im Jahr 1930 gab es in Ungarn
444.500 Juden. Mit der Annexion des slowakischen Teils und
der PKR Ende 1938 und im März 1939 [und durch die
Angliederung eines Teils von Siebenbürgen 1940] wuchs die
jüdische Bevölkerung bis 1941 auf 725.000 an.
Im eigentlichen Ungarn (als Kontrast zur PKR), und
speziell in Budapest, tendierten die Juden dazu, eine
wachsende Mittelklasse-Gemeinde zu sein. Im Frühjahr 1939
wurde geschätzt, dass 43 % des ungarischen Handels von
Juden abgewickelt wurde; 49,2 % der Anwälte und 37,7 % der
Ärzte waren Juden. Auch die Industrie war teilweise in
jüdischer Hand.
(Endnote 89: R46, Berichte für Januar 1939. Die
Bevölkerungsstatistiken sind entnommen aus Erno Laszlo:
Hungary's Jewry: A Demographic Overview, 1918-1945; In:
Hungarian Jewish Studies,
ed. Randolph L. Braham (New York, 1969), 2:157-58)
[Die Horthy-Regierung]
Juden wurden in Ungarn aber noch als Ausländer angesehen,
trotz der Tatsache, dass sie in dem Land für viele
Jahrhunderte gelebt hatten, und trotz ihrem eigenen
ehrgeizigen Wunsch, als Ungarn angesehen zu werden. Das
Regime des erzkonservativen Regenten, Admira Horthy,
schwankte zwischen persönlicher Freundschaft zu jüdischen
Elementen in der ungarischen Aristokratie und
Antisemitismus hin und her.
[Mai 1938: Prozent-Gesetz
für Geschäfte - Juden werden als geächtet betrachtet]
Im Mai 1938, unter dem Einfluss des Nazismus, errang der
ungarische Antisemitismus seinen ersten grossen Sieg durch
ein Gesetz, dass besagte, dass bis Juni 1943 nicht mehr
als 20 % der arbeitenden Leute in einem Betrieb Juden sein
durften. Folglich wurde eine grosse Anzahl Juden aus ihren
Berufen geworfen.
Ungarns Politiker folgten auch in anderer Hinsicht eng dem
deutschen Beispiel. Im Spätjahr 1938, nach der
Sudetenkrise im August dieses Jahres, publizierte die
ungarische Regierung den Text eines zweiten Gesetzes, das
schliesslich im März 1939 verabschiedet wurde. Die
Einleitung (S.219)
zu diesem Gesetz stellte ganz ausdrücklich fest, dass die
Ungarn die Juden ächteten, und zwar als Teil einer
allgemeinen Bewegung: "Bevor das Gesetz (von 1938)
verkündet wurde, hatte nur ein einziger Nachbarstaat,
Deutschland, energische Massnahmen unternommen, die Juden
aus dem Land zu treiben. Seit dieser Zeit jedoch sind
viele andere Staaten diesem Beispiel gefolgt. ...
Die jüdische Frage ist ein internationales Problem wie
viele andere Fragen, die von internationalem Interesse
sind, wie das weltweite Verkehrswesen, die Weltwirtschaft,
die Hygiene, und das Ausbildungswesen." Folglich wurde
eine internationale Lösung - das heisst, eine
Massenauswanderung und Vertreibung bei einem
internationalen Konsens - gewünscht.
[Ergänzung: Kein
Haavarah-Abkommen für osteuropäische Juden]
Für deutsche Juden gibt es das Haavarah-Abkommen. Aber für
die osteuropäischen Juden gibt es kein Haavarah-Abkommen.
Dies ist der Punkt: Die Jiddischen Juden sollen
ausgerottet werden, die deutschen Juden nicht. Es kann nur
angenommen werden, dass die Zionisten diesen Prozess
steuern].
[1939: Ungarn: Weitere
diskriminierende Gesetze: Fragen der Staatsangehörigkeit
- Diskriminierung in Berufen]
Das Gesetz von 1939 selbst sorgte dafür, dass bestimmten
Klassen von Juden die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde,
die nach 1914 ihre ungarische Nationalitätszugerhörigkeit
erhalten hatten; eigentlich wurde damit das jüdische
Privileg widerrufen, indem bei den nationalen Wahlen und
bei den Gemeindewahlen eine separate jüdische Zählung
eingerichtet wurde;
und Juden wurde der Zugang zum öffentlichen Dienst,
Gemeindearbeit und öffentlichen Gesellschaft verwehrt, und
ebenso der Zugang zur Arbeit in Notariaten und
Redaktionsleiter. Die Anzahl Juden im Bereich der Justiz,
Medizin und Ingenieurswesen wurde auf 6 % beschränkt. Die
Publikation von Zeitungen, die in Besitz von Juden waren,
wurde verboten, und Staatsverträge mit jüdischen
Unternehmungen wurden zurückgezogen. Die schlimmste
Neuerung aber war Verfügung, dass den Juden nur noch dann
eine Handelskonzession oder Lizenz gegeben wurde, wenn die
Prozentrate der jüdischen Lizenznehmer unter 6 % fiel.
Die Definition eines Juden war klar dem Nazi-Gesetz
entnommen: Ein Jude war eine Person mit jüdischem
Schicksal, ein Christ mit jüdischer Abstammung, oder der
Nachkomme einer gemischten Ehe, wenn der jüdische
Elternteil vor der Heirat nicht getauft worden war.
Es war ziemlich klar, dass das ungarische Judentum sehr
bald mit Hilferufen an das Verteilungskomitee JDC gelangen
würde.