Kontakt / contact     Hauptseite / page
              principale / pagina principal / home     zurück / retour / indietro / atrás / back
zurück / retour / indietro / atrás / backvoriges     nächstesnext
ENGL

Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939


[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

Teilen:

Facebook







Kapitel 5. Der Vorlauf zum Holocaust
[B. Die Zerstörung des jüdischen Lebens in Rumänien 1929-1939]

[5.16. Nationalismus - Antisemitismus - Diskriminierung - Goga-Gesetze 1938]

[Nationalismus in Rumänien macht Druck gegen die Minderheiten]

Aber von dem Wirtschaftsaufschwung in Rumänien profitierten hauptsächlich die Mittelklasse und die Landbesitzer, während die wachsende Welle des Nationalismus die Minderheitengruppen daran hinderte, daran teilzuhaben. Diese Minderheiten, ungefähr 4,5 Mio. Leute in einer Nation von 18 Mio. [Deutsche, Ungarn, Russen, Juden, Ukrainer etc.], wurden von der Regierung nicht gleichbehandelt. Ungarn und Deutsche, die unter den 4,5 Mio. eine Mehrheit waren, wurden besser behandelt als der Rest - Ukrainer, Bulgaren, Griechen, Russen, Zigeuner und Juden. Die üblichen Gründe für Antisemitismus verschärften sich in Rumänien. Kleinhandel war, in entscheidenden Gebieten, in jüdischen Händen - 48,3 % der rumänischen Juden waren im Kleinhandel beschäftigt -

(Endnote 76: R50: Situation der Juden in Osteuropa ("Situation of the Jews in Eastern Europe"); Bericht im Juni 1938; 32,8 % der Juden waren in der Industrie beschäftigt, 4,1 % in der Landwirtschaft, und 2,7 % in den Fachberufen).

und die wirtschaftliche Konkurrenz wuchs rasant. Die Juden waren die am wenigsten geschützte Minderheit, und sie bekamen immer mehr Konkurrenz, alles straffrei.

[Ab 1935: Antisemitische Gesetze und Gesetze gegen Minderheiten in Rumänien - jüdischer Kleinhandel bricht ein]

Somit ist es nicht überraschend, dass offene antisemitische Massnahmen (S.213)

sogar von der liberalen Regierung ergriffen wurden. Bis im Spätjahr 1935 wurden Dekrete publiziert, die die Beschäftigung von Nicht-Rumänen in der Industrie beschränkten. Im Spätjahr 1936 und im Frühjahr 1937 besagte eine Serie von Regierungsdekreten, dass mindestens 50 % der Angestellten in allen Industrien oder Handelseinrichtungen ethnische Rumänen sein müssen. Da die Juden die einzige Minderheit waren, bei denen Handel und Industrie der mehrheitliche Bereich der Beschäftigungsstrukturen war, war das Ziel der Dekrete klar die Juden.

Noch schlimmer war, dass die Rumänische Nationalbank alle ihre Zweige anwies, Wechsel von Geschäften, die ethnischen Minderheiten gehörten, nicht mehr auszuzahlen. Händler, Handwerker und kaufmännische Angestellte mussten - wie die polnischen auch - Prüfungen durchlaufen, oder man nahm ihnen die Beschäftigung weg. Lehrlinge - in einem Land, wo die Mehrheit der Handwerker jüdisch war - sollten in Zukunft sieben Jahre der rumänischen Grundschule besuchen müssen.

(Endnote 77:
-- R48, Bericht aus Rumänien, 1/19/37 [19. Januar 1937];
-- R16, Kahn Bericht, 11/19/35 [19. November 1935])

[Die Rumänen und die Minderheiten müssen einander helfen, um die Gesetze zu erfüllen]

Das Resultat war ein rasanter Niedergang der jüdischen, wirtschaftlichen Position. Eine jüdische Bank nach der anderen machte zu, ausser wenn sie mit dem JDC-Kassensystem verbunden war. Jüdische Meister mussten nichtjüdische Lehrlinge zur Ausbildung akzeptieren, wobei beide aufeinander angewiesen waren, sonst konnte man die Quote für rumänische Angestellte nicht erfüllen, und es gab auch einfach nicht genug jüdische Lehrlinge, die unter die neuen Gesetze fielen.

[Ab 1935: Diskriminierung in Berufen gegen Juden in Rumänien]

Inoffiziell aber effektiv wirkte auch die Ächtung in den Berufen. In den Jahren 1935 und 1936 wurde vom rumänischen Gericht keine jüdischen Anwälte akzeptiert; die Anzahl der neu akzeptierten jüdischen Medizinstudenten fiel von 66 im Jahre 1934 auf 5 im Jahre 1935 und auf 0 im Jahre 1936. Im Jahre 1937 wurden vier jüdische Studenten in der medizinischen Schule akzeptiert, aber sie wurden gewaltsam daran gehindert, den Unterricht zu besuchen.

(Endnote 78: ebenda.
[-- R48, Bericht von Rumänien, 1/19/37 [19. Januar 1937];
-- R16, Kahn Bericht, 11/19/35 [19. November 1935])

[18. Dez 1937: Rumänien: Die rechtsextreme Goga-Regierung - "christliches" Hausmädchengesetz etc.]

Vor diesem Hintergrund kam am 18. Dezember 1937 das rechtsextreme Regime von Octavian Goga an die Macht. Die Gerüchte, die sich unter der jüdischen Bevölkerung auszubreiten begannen, waren nur zu begründet. Die New York Times berichtete am 20. Januar 1938, dass Goga 500.000 Juden vertreiben wolle, dass eine andere Koryphäe der Regierung, Cuza, gesagt habe, dass "zum jetzigen Zeitpunkt" keine Enteignung der Juden stattfinden würde, und dass keine christlichen Hausmädchen unter 45 in jüdischen Häusern mehr arbeiten dürften - die letztere Aussage war samt und sonders den Nürnberger Gesetzen entnommen. (S.214)

[22. Januar 1938: Rumänien: Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz bring die jüdischen Gemeinden in Schwierigkeiten]

Am 22. Januar [1938] wurde ein Gesetz verabschiedet, dass die Juden dazu zwang, einer "Revision" der Staatsangehörigkeit zuzustimmen. Am 12. Februar wurde dies im so genannten Alt-Rumänien abgeschlossen (Moldawien und die Walachei), und im Rest des Landes 50 Tage später.

Juden hatten sich nie darum gekümmert, ihren Wohnsitz dokumentarisch festlegen zu lassen. Der Friedensvertrag [von 1919] hatte festgelegt, dass Leute, die nach dem Ersten Weltkrieg gewohnheitsmässig in den von Rumänien besetzten Territorien lebten, automatisch rumänische Bürger werden würden.

Wegen des Fehlend der Dokumentation mit dem Eintrag eines gewöhnlichen Wohnsitzes nahm der Antisemitismus bei den Gerichten der Justiz Überhand, auch wegen ihrem beschränkten Wissen über rumänische Kultur und Sprache. Da zusätzlich die Zeitspanne, all dies zu korrigieren, sehr kurz angesetzt worden war, breitet sich in den jüdischen Kreisen Pessimismus und sogar Panik aus. Dr. Wilhelm Filderman, ein Anwalt und der Oberste der rumänischen, jüdischen Gemeinde, der auch für den JDC der vertrauenswürdigste Kontakt in Rumänien war, schätzte, dass bei 80 % der Juden in "Neu"-Rumänien die Staatsbürgerschaft aberkannt werden würde.

Bei einer Sitzung in Frankreich zwischen Filderman und den Repräsentanten des JDC, der ICA und der Aufbaustiftung, war die Schlussfolgerung die, dass die kommenden rumänischen Wahlen am 2. März 1938 eine "weit höhere Wichtigkeit hatten als die hoffnungslose Aufgabe, die Effekte des antisemitischen Sieges abzumildern." Die Situation der Juden in Rumänien wurde als eine "Katastrophe" beurteilt, "noch schlimmer als (jene) der Juden in Deutschland."

(Endnote 79: R48, Nathan Katz an Hyman, 2/2/38 [2. Februar 1938])

[10. Feb 1938: Entlassung der Goga-Regierung - es folgt die Königsregierung]

Nichtsdestotrotz waren die neuen Dekrete sogar für viele rechte, rumänische Politiker zu viel, miteingeschlossen der König. Im frühen Februar befand ein juristisches Komitee des rumänischen Parlaments die antijüdischen Dekrete für nicht verfassungskonform, und die Goga-Regierung trat am 10. Februar zurück. Sie war nur weniger als 6 Wochen an der Macht gewesen, aber der Schaden, den sie angerichtet hatte, war unberechenbar. An ihrer Stelle richtete der König eine Koalition von Rechten und dem Zentrum ein, mit dem Patriarchen Miron Cristea als Premierminister. Es war nun im wahrsten Sinne des Wortes eine Königsregierung, die nun die Macht übernahm.

[Weitere antisemitische Gesetze der Goga-Regierung]

Der offene antisemitische Kurs gab weiteren subtilen Bewegungen einen Schub. Es wurden neue Dekrete in Kraft gesetzt, die solche Dinge wie die Renovation von Läden regelten. Neu wurden Staatsexamina für vorher qualifizierte Doktoren und Apotheker verlangt, oder der Geldtransfer ins Ausland (S.215)

zur Unterstützung von Studenten, die nicht rumänischer Abstammung waren, wurde verboten, oder es wurde der Beweis des rumänischen Bürgerrechts für jegliche Transaktion ins Ausland verlangt, und ähnliches.

(Endnote 80:
-- 48-Gen. & Emerg. Rumänien, generell, 1938-39, 4/28/38 [28. April 1938];
-- Bericht von Kahn und Schweitzer an der Sitzung in Bukarest)

Dem folgte die massenweise Aberkennung der Lizenzen für jüdischen Kleingewerbler. Allen grossen industriellen Firmen wurde gesagt, christliche Direktoren zu benennen. Und, obwohl die gesamte Massnahme der Aberkennung der rumänischen Nationalität an den Juden zurückgenommen wurde, so wurde am Prinzip einer Revision des Bürgerrechts festgehalten, und die Bedrohung einer Bürgerrechtsaberkennung blieb bestehen.

Kahn erwartete wirklich, dass 150.000 Juden ihre rumänische Staatsangehörigkeit verlieren würden. Die meisten von ihnen würden dann keinen Lebensunterhalt mehr verdienen können, und sie würden dann unter dem Druck der Regierung eine Tendenz entwickeln, auswandern zu wollen. Noch gab es scheinbar keine Alternative, als den König zu unterstützen, weil die lautstarkste Opposition gegen sein Gesetz von den pro-nazistischen Eisernen Garden kam.








^