[B.
Die
Zerstörung des jüdischen Lebens in Rumänien 1929-1939]
[5.16. Nationalismus - Antisemitismus -
Diskriminierung - Goga-Gesetze 1938]
[Nationalismus in
Rumänien macht Druck gegen die Minderheiten]
Aber von dem Wirtschaftsaufschwung in Rumänien
profitierten hauptsächlich die Mittelklasse und die
Landbesitzer, während die wachsende Welle des
Nationalismus die Minderheitengruppen daran hinderte,
daran teilzuhaben. Diese Minderheiten, ungefähr 4,5 Mio.
Leute in einer Nation von 18 Mio. [Deutsche, Ungarn,
Russen, Juden, Ukrainer etc.], wurden von der Regierung
nicht gleichbehandelt. Ungarn und Deutsche, die unter den
4,5 Mio. eine Mehrheit waren, wurden besser behandelt als
der Rest - Ukrainer, Bulgaren, Griechen, Russen, Zigeuner
und Juden. Die üblichen Gründe für Antisemitismus
verschärften sich in Rumänien. Kleinhandel war, in
entscheidenden Gebieten, in jüdischen Händen - 48,3 % der
rumänischen Juden waren im Kleinhandel beschäftigt -
(Endnote 76: R50: Situation der Juden in Osteuropa
("Situation of the Jews in Eastern Europe"); Bericht im
Juni 1938; 32,8 % der Juden waren in der Industrie
beschäftigt, 4,1 % in der Landwirtschaft, und 2,7 % in den
Fachberufen).
und die wirtschaftliche Konkurrenz wuchs rasant. Die Juden
waren die am wenigsten geschützte Minderheit, und sie
bekamen immer mehr Konkurrenz, alles straffrei.
[Ab 1935: Antisemitische
Gesetze und Gesetze gegen Minderheiten in Rumänien -
jüdischer Kleinhandel bricht ein]
Somit ist es nicht überraschend, dass offene
antisemitische Massnahmen (S.213)
sogar von der liberalen Regierung ergriffen wurden. Bis im
Spätjahr 1935 wurden Dekrete publiziert, die die
Beschäftigung von Nicht-Rumänen in der Industrie
beschränkten. Im Spätjahr 1936 und im Frühjahr 1937
besagte eine Serie von Regierungsdekreten, dass mindestens
50 % der Angestellten in allen Industrien oder
Handelseinrichtungen ethnische Rumänen sein müssen. Da die
Juden die einzige Minderheit waren, bei denen Handel und
Industrie der mehrheitliche Bereich der
Beschäftigungsstrukturen war, war das Ziel der Dekrete
klar die Juden.
Noch schlimmer war, dass die Rumänische Nationalbank alle
ihre Zweige anwies, Wechsel von Geschäften, die ethnischen
Minderheiten gehörten, nicht mehr auszuzahlen. Händler,
Handwerker und kaufmännische Angestellte mussten - wie die
polnischen auch - Prüfungen durchlaufen, oder man nahm
ihnen die Beschäftigung weg. Lehrlinge - in einem Land, wo
die Mehrheit der Handwerker jüdisch war - sollten in
Zukunft sieben Jahre der rumänischen Grundschule besuchen
müssen.
(Endnote 77:
-- R48, Bericht aus Rumänien, 1/19/37 [19. Januar 1937];
-- R16, Kahn Bericht, 11/19/35 [19. November 1935])
[Die Rumänen und die
Minderheiten müssen einander helfen, um die Gesetze zu
erfüllen]
Das Resultat war ein rasanter Niedergang der jüdischen,
wirtschaftlichen Position. Eine jüdische Bank nach der
anderen machte zu, ausser wenn sie mit dem
JDC-Kassensystem verbunden war. Jüdische Meister mussten
nichtjüdische Lehrlinge zur Ausbildung akzeptieren, wobei
beide aufeinander angewiesen waren, sonst konnte man die
Quote für rumänische Angestellte nicht erfüllen, und es
gab auch einfach nicht genug jüdische Lehrlinge, die unter
die neuen Gesetze fielen.
[Ab 1935: Diskriminierung
in Berufen gegen Juden in Rumänien]
Inoffiziell aber effektiv wirkte auch die Ächtung in den
Berufen. In den Jahren 1935 und 1936 wurde vom rumänischen
Gericht keine jüdischen Anwälte akzeptiert; die Anzahl der
neu akzeptierten jüdischen Medizinstudenten fiel von 66 im
Jahre 1934 auf 5 im Jahre 1935 und auf 0 im Jahre 1936. Im
Jahre 1937 wurden vier jüdische Studenten in der
medizinischen Schule akzeptiert, aber sie wurden gewaltsam
daran gehindert, den Unterricht zu besuchen.
(Endnote 78: ebenda.
[-- R48, Bericht von Rumänien, 1/19/37 [19. Januar 1937];
-- R16, Kahn Bericht, 11/19/35 [19. November 1935])
[18. Dez 1937: Rumänien:
Die rechtsextreme Goga-Regierung - "christliches"
Hausmädchengesetz etc.]
Vor diesem Hintergrund kam am 18. Dezember 1937 das
rechtsextreme Regime von Octavian Goga an die Macht. Die
Gerüchte, die sich unter der jüdischen Bevölkerung
auszubreiten begannen, waren nur zu begründet. Die
New York Times
berichtete am 20. Januar 1938, dass Goga 500.000 Juden
vertreiben wolle, dass eine andere Koryphäe der Regierung,
Cuza, gesagt habe, dass "zum jetzigen Zeitpunkt" keine
Enteignung der Juden stattfinden würde, und dass keine
christlichen Hausmädchen unter 45 in jüdischen Häusern
mehr arbeiten dürften - die letztere Aussage war samt und
sonders den Nürnberger Gesetzen entnommen. (S.214)
[22. Januar 1938:
Rumänien: Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz bring die
jüdischen Gemeinden in Schwierigkeiten]
Am 22. Januar [1938] wurde ein Gesetz verabschiedet, dass
die Juden dazu zwang, einer "Revision" der
Staatsangehörigkeit zuzustimmen. Am 12. Februar wurde dies
im so genannten Alt-Rumänien abgeschlossen (Moldawien und
die Walachei), und im Rest des Landes 50 Tage später.
Juden hatten sich nie darum gekümmert, ihren Wohnsitz
dokumentarisch festlegen zu lassen. Der Friedensvertrag
[von 1919] hatte festgelegt, dass Leute, die nach dem
Ersten Weltkrieg gewohnheitsmässig in den von Rumänien
besetzten Territorien lebten, automatisch rumänische
Bürger werden würden.
Wegen des Fehlend der Dokumentation mit dem Eintrag eines
gewöhnlichen Wohnsitzes nahm der Antisemitismus bei den
Gerichten der Justiz Überhand, auch wegen ihrem
beschränkten Wissen über rumänische Kultur und Sprache. Da
zusätzlich die Zeitspanne, all dies zu korrigieren, sehr
kurz angesetzt worden war, breitet sich in den jüdischen
Kreisen Pessimismus und sogar Panik aus. Dr. Wilhelm
Filderman, ein Anwalt und der Oberste der rumänischen,
jüdischen Gemeinde, der auch für den JDC der
vertrauenswürdigste Kontakt in Rumänien war, schätzte,
dass bei 80 % der Juden in "Neu"-Rumänien die
Staatsbürgerschaft aberkannt werden würde.
Bei einer Sitzung in Frankreich zwischen Filderman und den
Repräsentanten des JDC, der ICA und der Aufbaustiftung,
war die Schlussfolgerung die, dass die kommenden
rumänischen Wahlen am 2. März 1938 eine "weit höhere
Wichtigkeit hatten als die hoffnungslose Aufgabe, die
Effekte des antisemitischen Sieges abzumildern." Die
Situation der Juden in Rumänien wurde als eine
"Katastrophe" beurteilt, "noch schlimmer als (jene) der
Juden in Deutschland."
(Endnote 79: R48, Nathan Katz an Hyman, 2/2/38 [2. Februar
1938])
[10. Feb 1938: Entlassung
der Goga-Regierung - es folgt die Königsregierung]
Nichtsdestotrotz waren die neuen Dekrete sogar für viele
rechte, rumänische Politiker zu viel, miteingeschlossen
der König. Im frühen Februar befand ein juristisches
Komitee des rumänischen Parlaments die antijüdischen
Dekrete für nicht verfassungskonform, und die
Goga-Regierung trat am 10. Februar zurück. Sie war nur
weniger als 6 Wochen an der Macht gewesen, aber der
Schaden, den sie angerichtet hatte, war unberechenbar. An
ihrer Stelle richtete der König eine Koalition von Rechten
und dem Zentrum ein, mit dem Patriarchen Miron Cristea als
Premierminister. Es war nun im wahrsten Sinne des Wortes
eine Königsregierung, die nun die Macht übernahm.
[Weitere antisemitische
Gesetze der Goga-Regierung]
Der offene antisemitische Kurs gab weiteren subtilen
Bewegungen einen Schub. Es wurden neue Dekrete in Kraft
gesetzt, die solche Dinge wie die Renovation von Läden
regelten. Neu wurden Staatsexamina für vorher
qualifizierte Doktoren und Apotheker verlangt, oder der
Geldtransfer ins Ausland (S.215)
zur Unterstützung von Studenten, die nicht rumänischer
Abstammung waren, wurde verboten, oder es wurde der Beweis
des rumänischen Bürgerrechts für jegliche Transaktion ins
Ausland verlangt, und ähnliches.
(Endnote 80:
-- 48-Gen. & Emerg. Rumänien, generell, 1938-39,
4/28/38 [28. April 1938];
-- Bericht von Kahn und Schweitzer an der Sitzung in
Bukarest)
Dem folgte die massenweise Aberkennung der Lizenzen für
jüdischen Kleingewerbler. Allen grossen industriellen
Firmen wurde gesagt, christliche Direktoren zu benennen.
Und, obwohl die gesamte Massnahme der Aberkennung der
rumänischen Nationalität an den Juden zurückgenommen
wurde, so wurde am Prinzip einer Revision des Bürgerrechts
festgehalten, und die Bedrohung einer
Bürgerrechtsaberkennung blieb bestehen.
Kahn erwartete wirklich, dass 150.000 Juden ihre
rumänische Staatsangehörigkeit verlieren würden. Die
meisten von ihnen würden dann keinen Lebensunterhalt mehr
verdienen können, und sie würden dann unter dem Druck der
Regierung eine Tendenz entwickeln, auswandern zu wollen.
Noch gab es scheinbar keine Alternative, als den König zu
unterstützen, weil die lautstarkste Opposition gegen sein
Gesetz von den pro-nazistischen Eisernen Garden kam.