[A. Die
Zerstörung der jüdischen Existenz in Polen 1929-1939]
[5.7. Pläne für die Auswanderung des polnischen
Judentums in die Sowjetunion und nach Madagaskar]
[1936 ca.: Pläne für eine
jüdische Auswanderung in die Sowjetunion und nach
Madagaskar]
Im Frühjahr 1937 änderte das Verteilungskomitee JDC seine
Haltung gleich noch einmal, weil es damals den Anschein
hatte, als ob ein ausführbarer Auswanderungsplan
existieren würde. Wir haben gesehen, dass Joseph A. Rosen
versuchte, die Auswanderung der deutschen und polnischen
Juden in die Sowjetunion [nach Birobidschan] zu
organisieren. Gleichzeitig schien am Horizont auch ein
anderer Plan für eine Massenauswanderung aufzutauchen -
nach Madagaskar.
[Chlapowski: Madagaskar
ist für Polen nicht gut genug - aber gut genug für
Juden]
Polnische Interessen auf dieser tropischen Insel, die
unter französischem Gesetz stand, waren nun wirklich neu.
Im Jahr 1926 hatte der polnische Botschafter in
Frankreich, Graf Chlapowski, die Möglichkeit untersucht,
polnische Bauern dort hin auswandern zu lassen, aber die
Informationen bezüglich des Klimas und der
Bodenbedingungen überzeugten ihn, dass dies ausser Frage
stand. Nichtsdestotrotz sollte es, wenn das nicht gut
genug für die Polen war, so sollte es doch gut genug für
die Juden sein.
[Jüdische Mission in
Madagaskar - keine Möglichkeit für eine
Masseneinwanderung in Madagaskar]
Die französische Regierung war recht gewillt, die
europäische Einwanderung nach in das Malagasy-Hochland zu
fördern, und die Polen sandten eine Mission unter Major
Lepecki dort hin; in dieser Mission waren auch zwei Juden.
Der Bericht von Lepecki war aber nicht vorteilhaft, und
die zwei jüdischen Mitglieder berichteten, dass "keine
Möglichkeit für eine Masseneinwanderung nach Madagaskar
besteht."
(Endnote 44: Marcell Olivier: Madagascar - Terre d'Asile?
["Madagaskar - Asylland?"];
Illustration, 19. Februar 1938, S.
197-98)
[1937: Die französische
Regierung unterstützt den Madagaskar-Plan - der
polnische, antisemitische Aussenminister Beck
präsentiert seinen Plan]
Das französische Kolonialbüro begann trotzdem, mit seinen
eigenen Gründen, auf das Verteilungskomitee JDC Druck
auszuüben, um für jüdische Ansiedlungen in Madagaskar oder
in anderen französischen Kolonien Unterstützung zu
gewähren. Im Juni wurden Rosen und Kahn durch das
Kolonialbüro empfangen, und sie wurden des französischen
Interesses und der Kooperation versichert. Trotz des
Lepecki-Berichts diskutierte der polnische Aussenminister
Józef Beck das Problem in Frankreich und schlug eine
jährliche jüdische Auswanderung von 30.000 Familien vor,
oder 120.000 Familien innerhalb von 5 bis 6 Jahren
(ungefähr 500.000-600.000 Personen).
(Endnote 45: ITA, 12/6/37 [6. Dezember 1937]; 44-29 Rosen
und Kahn an Liebman, 6/12/37 [12. Juni 1937])
Rosen dachte, dass Madagaskar Möglichkeiten bot, und er
wollte eine unabhängige JDC-Kommission, die an Ort und
Stelle die Insel untersuchen sollte. Versuchsweise gab das
JDC für eine solche Kommission 12.000 $ frei, aber sie
wurde nie aufgestellt.
(Endnote 46: CON-2, 8/18/36 [18. August 1936], Rosen an
Lehman)
Die konkreten Resultate von all diesen Entwicklungen waren
praktisch Null. Trotz der Haltungsänderung auf Seiten des
JDC und der grossen Notwendigkeit (S.193)
des polnischen Judentums, aus Polen zu fliehen, so
wanderten im Jahr 1937 nicht mehr als 8861 Juden aus, von
denen 3423 nach Palästina gingen.
(Endnote 47: 44-29, HICEM Bericht)
[Dies ist die offizielle Auswanderungszahl. Die illegale
Auswanderung ist nicht mitgezählt. Die totale Auswanderung
aus Polen für die 1930er Jahre wird von Graml auf 100.000
jährlich geschätzt;
In: Hermann Graml: Die Auswanderung der Juden aus
Deutschland zwischen 1933 und 1939; Gutachten des
Instituts für Zeitgeschichte; im Selbstverlag des
Instituts für Zeitgeschichte. München 1958, S.79-84;
Tel.: 0049-(0)89-12688-0].
Diese Auswanderung war beträchtlich weniger als die
Geburtenrate im polnischen Judentum,
(Endnote 48: ungefähr 30.000 pro Jahr)
und die Polen mussten das leuchtende Beispiel von
Nazi-Deutschland mitansehen, wie es dort gelang, eine
grosse Anzahl Juden aus dem Land zu treiben.
[Ergänzung: Es ist bewiesen, dass jüdisch-zionistische
Organisationen die Auswanderung der deutschen Juden nach
Palästina gut organisiert hatten, und dass die jiddisch
sprechenden polnischen Juden vernichtet werden sollten,
weil Jiddisch im Heiligen Land nicht gesprochen werden
sollte].