[A.
Die
Zerstörung der jüdischen Existenz in Polen 1929-1939]
[5.6. Jüdische Stimmen sagen, Palästina sei
keine Lösung - blockierte Zionisten ab 1935 durch
die britische Blockade der Einwanderung nach
Palästina - unrealistische Standpunkte]
[Die links-jüdischen
Bundisten (Antizionisten) sagen, dass die Auswanderung
nach Palästina keine Lösung sei - offiziell wandern
1935 30.703 polnische Juden aus, 24.300 nach Palästina
im Jahr 1935 - keine Zählung der inoffiziellen
Auswanderung]
Neben den offensichtlichen Schwierigkeiten, jüdische
Auswanderer irgendwo in der Welt unterzubringen, gab es
eine ideologische Tendenz, die Juden als loyale Bürger
zu betrachten, und als absolut integrierte Mitglieder
ihrer verschiedenen Geburtsnationalitäten, denn so war
es auch für die JDC-Führer mit ihren Erfahrungen in
Amerika gewesen. Diese Führer also lehnten Palästina
sogar als eine Teillösung für die Lösung des
polnisch-jüdischen Problems ab, obwohl im Jahre 1935
24.300 der insgesamt 30.703 auswandernden Juden nach
Palästina auswanderten.
[Das ist die offizielle Zahl der Auswanderung. Die
nicht-offizielle Auswanderung ist nicht gezählt und kann
nur geschätzt werden. Graml schätzt in seiner Studie,
dass in den 1930er Jahren jährlich ungefähr 100.000
polnische Juden ausgewandert sind;
In: Hermann Graml: Die Auswanderung der Juden aus
Deutschland zwischen 1933 und 1939; Gutachten des
Instituts für Zeitgeschichte; im Selbstverlag des
Instituts für Zeitgeschichte. München 1958, S.79-84;
Tel.: 0049-(0)89-12688-0].
[1936: George Backer
sagt ebenso, dass die Auswanderung nach Palästina
keine Lösung sei]
In den 1930er Jahren war George Backer eine der
zentralen Figuren im JDC in New York, die in der
Anti-Nazi-Politik der USA sehr aktiv war. Er war auch
den Angelegenheiten mit Palästina gegenüber ziemlich
freundlich gestimmt. Er erklärte im Jahr 1936 sogar,
dass es nutzlos sei, Palästina zu glorifizieren, "bis
die Struktur des jüdischen Lebens in anderen Ländern
gesichert sei."
(original:
In the 1930s one of the central figures in JDC in New
York was George Backer, who was very active in anti-Nazi
politics in the United States and was also fairly
friendly toward Palestine causes. Even he declared in
1936 that there was no use in glorifying Palestine
"until the structure of Jewish life in other countries
has been saved.")
(Endnote 37: R15-Backer Bericht, 4/27/36 [27. April
1936])
[1935: Zionisten werden
durch die britische Blockade der jüdischen
Einwanderung nach Palästina behindert]
Die Zionisten argumentierten, dass das jüdische Leben in
Polen einfach nicht zu retten war. Gleichzeitig wurden
sie aber durch die Tatsache eingeschränkt, dass die
Briten die Türen von Palästina den Juden nach 1935 immer
mehr verschlossen. Somit war Palästina keine
unmittelbare Lösung mehr. Als Simon Marks von England im
Jahr 1937 versuchte, dort für das polnische Judentum
Spenden zu sammeln, und beabsichtigte, diese Gelder "der
Hechalutz und zionistischen Gruppen" zukommen zu lassen,
bemerkte Kahn, dass "dies gerade diejenigen Leute seien,
die in unserer Arbeit nicht sehr bekannt geworden sind".
(Endnote 38: 44-3-Kahn an Baerwald, 1/17/37 [17. Januar
1937])
[1935: Schärfere
Massnahmen der antisemitischen Regierung in Polen]
Nach 1935 kam es in der Haltung des JDC zu einem
allmählichen Wandel. Die Hauptgründe dafür waren:
(1) Polnische Juden (eigentlich der zionistische Führer
Yitzhak Gruenbaum) erklärten selbst, dass eine Million
polnische Juden auswandern sollte; und
(2) die polnische Regierung übte einen immer stärker
werdenden Druck gegen die polnischen Juden und gegen die
internationalen Körperschaften aus, die den Juden zur
Auswanderung verhalf.
Das Verteilungskomitee widerstand diesen Forderungen;
Hyman beklagte sich speziell über (S.191)
die Tatsache, dass die Juden selbst zum Ausdruck
brachten, was die "Forderung der Vertreibung von
Millionen" schlussendlich bedeutete.
(Endnote 39: R13, Hyman an das Budget- und
Bereichsleitungskomitee (Budget and Scope [committee]),
6/27/37 [27. Juni 1937])
[Unrealistische
Standpunkte:
Linke Bundisten behaupten, dass Juden Ausländer seien]
Arbeiterführer, die dem Bund nahestanden, waren noch
deutlicher. In Polen erklärte der Bund selbst seinen
Widerstand gegen die Erklärung, dass Juden ein
ausländisches Volk in ihren Siedlungsländern seien;
(Endnote 40:
Jewish
Chronicle, 5/15/36 [15. Mai 1936], S.19)
[Das unrealistische Element dieses Standpunktes: Jude zu
sein ist eine Religion und keine Nation].
[Vladeck stellt fest,
dass das Problem in Polen gelöst werden müsste]
in den USA schrieb Vladeck in der
jiddisch-sozialistischen Zeitung
Forverts, dass
"wenn man die Existenz der polnischen Juden in Polen
ermöglichen will, so muss man aufhören, Palästina als
die Lösung ihres Problems anzusehen. ...
Sie müssen ihre Aktivitäten einem gesunden , freien und
besseren Polen widmen - nicht Palästina."
[Das unrealistische Element dieses Standpunktes: Die
antisemitische polnische Regierung wird nicht
nachgeben].
[Asch behauptet, 3
Millionen Juden können nicht auswandern]
Sholem Asch war sicher, dass, wenn die polnische
Regierung realisierte, dass 3 Millionen Juden nicht
auswandern können, und dass eine wirtschaftliche
Besserung für alle polnischen Bürger das Ziel sein
sollte, so könnten die Juden die Juden erfolgreich ihre
Positionen als Bürger in Polen behalten.
(Endnote 41:
-- Executive Committee, 5/18/37 [18. Mai 1937].
-- Hyman to Oscar Janowsky, 11/24/37 [24. November
1937],
-- R13)
[Das unrealistische Element dieses Standpunktes: Polen
braucht eine Mitgliedschaft in einem Wirtschaftsbündnis,
um seine Wirtschaft zu verbessern, weil die einstigen
russischen und ungarisch-österreichischen Absatzmärkte
seit 1919 blockiert sind].
[Hyman vom JDC meint,
es braucht ein liberales und tolerantes
Gesellschaftssystem]
Dies wurde von Hyman gehört, der hoffte, dass die
Situation in Polen "nur vorübergehend war und die
Rückkehr zu einer Demokratie und zu liberalen Idealen
bald vollzogen sein würde." Er glaubte noch daran, einen
Weg zu finden, "die Juden in ihre Umgebung zu
integrieren, unter einem liberalen und toleranten
Gesellschaftssystem."
[Das unrealistische Element dieses Standpunktes: Die
antisemitische polnische Regierung wird nicht nachgeben,
und ein liberales und tolerantes Gesellschaftssystem
kann man nicht haben, wenn die Wirtschaft am Boden
liegt].
[Frühjahr 1936: Die
polnische Regierung fordert die Auswanderung aller
Juden]
Als die britische Delegation von Lord Samuel, Lord
Bearsted und Simon Marks im Frühjahr 1936 in die USA
kamen, um die Auswanderung des deutschen Judentums zu
diskutieren, nahmen Kreise der polnischen Regierung die
Gelegenheit wahr, um ihre Forderungen nach einer
Massenauswanderung der polnischen Juden zu präsentieren.
Prinz Radziwill brachte die Forderung im frühen Februar
[1936] im polnischen Senat zum Ausdruck.
[Okt 1936: Der
polnische Delegierte am Völkerbund appelliert für die
Öffnung anderer Länder für die Juden]
Im Oktober forderte der polnische Delegierte an der 6.
Kommission des Völkerbunds, dass andere Länder als
Palästina für die Einwanderung der europäischen Juden
geöffnet werden sollten, was auch den polnischen Juden
eine Auswanderung ermöglichen würde.
(Endnote 42:
-- 46-Berichte 1936/7, Oktober 1936 (der Delegierte
hiess Tytus Komarinski);
-- und: ITA, 12/12/36 [12. Dezember 1936])
[Kahn ist gegen eine
einseitige Auswanderung]
Es wurde ein Schema für eine jährliche Auswanderung von
18.000 diskutiert. Kahn reagierte sofort und stellte in
einer Pressemitteilung fest, dass das Schema
"unüberlegt" war, dass es im Prinzip falsch sei, "Juden
für eine solche Auswanderung auszusuchen", und dass dies
eine "Diskriminierung gegen die gesetzestreuen jüdischen
Bürger war, die (er) in Polen nicht für möglich hielt."
(Endnote 43: R14, Pressemitteilung, 2/1/36 [1. Februar
1936])
Dies wurde nun langsam immer mehr die zweite
Verteidigungslinie des JDC: Offensichtlich war hier ein
Fall für eine angeordnete Auswanderung (S.192)
aus Polen vor, aber Juden sollten nicht ausgewählt
werden. Innerhalb eines angeordneten
Auswanderungsprogramm würden die Juden ihren Anteilen
nach berücksichtigt werden.